Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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aus der Bodensenke heraus. »Tiadba, du bist die Anführerin. Sorg dafür, dass wir weiterziehen.«
    Verwirrt sah Tiadba sich um. Sie lauschte nach innen, nach der Stimme der Besucherin oder einer anderen, die ihr einen Rat geben konnte, da sie selbst so desorientiert war. Aber die Besucherin sagte nichts. Und sie konnte sich auch nicht vorstellen, was Jebrassy ihr wohl geraten hätte.
    Gleich darauf hörte sie sich reden. Es war keine gute Ansprache. Die Wörter wurden von einem winzigen Knoten der Wut ausgelöst, der mitten in ihrem Brustkorb saß, oberhalb des Magens, unterhalb der Lungen. Sie spürte brennende Enttäuschung. »Ich weiß nicht, was wir uns erwartet haben. Wollt ihr umdrehen und zurückgehen? Wie viele von euch glauben denn, dass die Stadt noch lange standhalten wird?«
    »Ich nicht«, erwiderte Nico. »Ich hab gesehen, wie das Ding Mash erwischt hat. Ich will nicht zurück. Hier draußen …«
    »Hier draußen können wir wenigstens sehen, was auf uns zukommt«, sagte Tiadba. »In den Ebenen werden wir im Schlaf sterben. Oder es kommt noch schlimmer.«

69
Das grüne Lagerhaus
    Die Frauen des Literaturzirkels hatten sich rings um das eiserne Öfchen auf den Stühlen niedergelassen. Mehr als verlegen hatten sich die beiden Neuankömmlinge zu ihnen gesellt. Glaucous nahm es hin, in die hintere Ecke verbannt zu werden, und hockte sich auf eine Kiste. So wie er da kauerte, hatte er verblüffende Ähnlichkeit mit einem der Wasser speienden Ungeheuer von Oxford.
    Ginny hielt sich im Hintergrund, weit von allen und der südlichen Tür entfernt. Mit gesenktem Blick machte sie sich auf eine weitere Nervenprobe gefasst.
    »Mnemosyne ist etwas Besonderes und stets kompliziert«, erklärte Bidewell. »Eine gewisse mentale Vorbereitung ist nötig, ehe ihr sie trefft. Ich hoffe, ihr hattet Zeit, über das nachzudenken, was wir besprochen haben.«
    »Ist sie eine Person oder ein Ding?«, fragte Jack.
    »Weder noch. Wie alt ist das Universum, Jack?«
    »Viele Milliarden Jahre, schätze ich. Jedenfalls hat man mir das so beigebracht.«
    Agazutta litt mittlerweile unter nervösen Anfällen, die bei ihr Zittern und Wimmern auslösten, und schlug sich die Hand vor den Mund. Miriam und Ellen bauten sich zu beiden Seiten von ihr auf und hielten sie an den Schultern fest.
    »Und für wie alt halten Sie selbst es, Jack?«, hakte Bidewell nach.
    »Nun ja, ich bin vor vierundzwanzig Jahren geboren«, erwiderte Jack mit ironischer Miene. »So alt ist es für mich.«
    »Der Ansatz zu einer guten Antwort. Aber wir wollen nicht in Solipsismus abgleiten, das würde mir nicht gefallen, und schon gar nicht Mnemosyne. Was ihr am ehesten zusagt, ist ein gewisses Maß an – wie soll ich sagen – Skepsis gegenüber dem, was gemeinhin als Ordnung aller Dinge gelehrt wird. Für wie alt halten Sie diese Atome und Moleküle, die Sie essen und einatmen, die Ihren Körper ausmachen und die Ihren Gedankenfluss vorantreiben, den Geist des Beobachters, der Ihnen eigen ist?«
    »Für genauso alt wie das Universum«, erwiderte Jack mit größerer Gewissheit.
    »Ein weitverbreiteter Irrtum. Nicht alle Materie existiert seit den Anfängen. Sie wird immer noch erzeugt, und das wird auch noch sehr lange so weitergehen. Würde so weitergehen, wären wir nicht mit dem Terminus konfrontiert, versteht sich.«
    »Versteht sich«, wiederholte Miriam.
    »Aber das nur am Rande. Man nimmt an, dass in gewissen Regionen von Raum und Zeit ganze Galaxien wie auf einen Schlag aufgetaucht sind, samt Hunderter Milliarden von brennenden Sternen, ausgebildeter Planeten und lebendiger, aktiver Zivilisationen. Doch ihre Geschichten sind nicht gleichzeitig
mit ihnen in Erscheinung getreten. Deshalb ist die Zusammenführung dieser Entwicklungen mit ihren Anfängen eine monumentale Aufgabe.«
    Jack fragte sich, ob Bidewell sich einen Scherz mit ihm erlaubte, und sah ihn an. Der warme Feuerschein des Öfchens spielte auf dem faltigen Gesicht des Alten, aber es zeigte keinen Anflug von Humor. Falls seine Miene überhaupt etwas ausdrückte, dann Müdigkeit und Erschöpfung, weil er wieder einmal etwas wiederholen musste, dessen Wahrheitsgehalt auf der Hand lag und allgemein bekannt war.
    »Und sie sind einfach so aus dem Nichts aufgetaucht?«, fragte Jack.
    Ginny fasste sich ein Herz. »Das scheint unmöglich«, warf sie ein.
    Bidewell zuckte die Achseln. »Stimmt schon, gemeinhin erzeugt ein spontaner Schöpfungsprozess nur kleinere Einheiten: jede Menge Teilchen,