Die Stadt am Ende der Zeit
Zwielicht schließlich über die mittlerweile kurzatmigen und lädierten Kombattanten senkte.
Die Alten sahen solchen Kämpfen gern zu, solange dabei nicht allzu viele junge Krieger verletzt wurden – doch Jebrassys
Trupp stellte ihre Toleranz auf eine harte Probe. Viele Kämpfer humpelten laut stöhnend davon, und noch mehr machten ihrem Ärger auf dem Kampffeld und jenseits davon lautstark Luft.
Schließlich zog Jebrassy sich ruhm- und ehrenvoll aus dem Getümmel zurück, zumindest der eigenen Einschätzung nach. Sein Kopf war bandagiert, ein Arm ausgekugelt. Im Feldlager wurde er von einem schwerfälligen Sanitäter mit Medikamenten versorgt. Dieser Sanitäter war eine trommelförmige Maschine mit stummelartigen Flügeln, die jetzt eingezogen waren. Obwohl diese Apparate nicht wirklich über Gesichter verfügten – in ihren ovalen Schädeln steckten jeweils nur drei asymmetrisch angeordnete, leuchtend blaue Augen –, schienen solche Gefechte sie traurig zu stimmen; doch sie erfüllten ihre Pflichten widerspruchslos und ohne zu klagen.
In den geräumigen dunklen Nischen, die hoch oben in die Wände oder die Decke eingelassen waren und Aussicht auf die Weiden und Äcker boten, kursierten Gerüchte. Hin und wieder, so erzählte man sich, komme es vor, dass die Hochgewachsenen (die nach den naiven Vorstellungen der Zöglinge die Ebenen beherrschten) diese hübschen kleinen Kriege beobachteten und Noten verteilten. Und diese Beurteilungen würden berücksichtigt, wenn der Düstere Aufseher kam, um einen vom Lebensfaden abzuschneiden und zum Hort zu bringen. Manche behaupteten sogar – allerdings hegte Jebrassy starke Zweifel daran –, dass die Hochgewachsenen sich unter ihre Favoriten mischten. Und falls diese sich im Kampf nicht bewährten, hülle ein Nebel sie ein. Danach flögen die Hochgewachsenen mit ihnen davon …
Doch Jebrassy war mit seiner Kampfleistung zufrieden. Er hatte Schläge ausgeteilt und eingesteckt – fertig, aus. Lieber
dachte er nüchtern an andere Dinge, das machte die Situation irgendwie leichter. Während der Sanitäter, der ihn geduldig verarztet hatte, die letzten Handgriffe tat, blickte er über dessen leuchtende, asymmetrische Augen hinweg zu den sanften Braun-, Grün- und Goldtönen des von Zwielicht erhellten künstlichen Himmels empor. Dabei fragte er sich, was die Hochgewachsenen eigentlich von solchem Unsinn halten mochten. Natürlich hatte er niemals etwas anderes als die Ebenen gekannt, und das verunsicherte ihn. Dieses riesige Runddach erdrückte ihn seelisch. Er war ein abenteuerlustiger Bursche, voller Ehrgeiz, die für sie alle geltenden sichtbaren Grenzen zu überschreiten: Diese Linien waren fast alle kurz und flach, doch in den Fluren so weitläufig, dass man sich dahinter die geheimnisvollen, schier endlosen Flächen vorstellen konnte, von denen manche flüsternd berichteten. Orte, wo nichts den Blick einschränkte.
Während der Sanitäter das Ende des Verbandes um Jebrassys Arms wickelte, hielt ein älterer Mann an einem provisorisch eingerichteten Stand an, an dem man sich mit süßem Chafe und Tork eindecken konnte – berauschende Säfte, die in schweren Krügen gärten. Jebrassy erstarrte. Mit leiser, mitfühlender Stimme entschuldigte der Sanitäter sich bei ihm, doch es waren nicht die Salben und Klebepflaster, die Jebrassy Schmerzen bereiteten.
Die Zeit zum Abschiednehmen war gekommen. Der ältere Mann, Chaeto, war sein Per, einer seiner beiden Paten. Er war ein stämmiger Bursche mit dem stacheligen Vollbart eines Geschöpfes, das bald Bekanntschaft mit dem Düsteren Aufseher machen würde. Chaeto und seine Gefährtin Neb hatten Jebrassy bei sich aufgenommen, nachdem seine ersten Paten verschwunden
waren. Sie hatten ihn gut behandelt, obwohl Jebrassy ihnen fast nur Kummer bereitet hatte.
Chaeto kam näher und stellte sich neben ihn. Seine trüben Augen verrieten, wie aufgewühlt er innerlich war. Sie begrüßten einander, indem jeder einen Finger an den Hals des anderen legte, Jebrassy als Erster, wie es die Sitte verlangte. Danach strich er über die ausgestreckte Handfläche des Alten. Die Geste brachte kaum Trost.
»Du hast dich da draußen gut gemacht«, sagte Chaeto. »Wie immer. Du bist ein richtiger Kämpfer, das steht fest.« Er räusperte sich und wandte den Blick ab. »Uns bleibt nicht mehr viel Zeit, um Nachwuchs großzuziehen. Mer und ich meinen, dass unsere Anweisungen dir nicht mehr viel nützen werden. Schon jetzt beherzigst du unsere
Weitere Kostenlose Bücher