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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Bitten nicht mehr.«
    Erneut strich Jebrassy über die Handfläche seines Pers – eine Geste, mit der er um Vergebung bat. Sie empfanden Zuneigung zueinander, doch keiner von beiden konnte dem ausweichen, was der Alte gleich sagen würde. »Du bist also entschlossen, bei den harten Burschen zu bleiben?«
    »Es sind meine Freunde«, murmelte Jebrassy.
    »Und redet ihr immer noch davon, fortzuziehen, um fern der Ebenen zu sterben, ohne die Beihilfe des Düsteren Aufsehers? «
    »Es hat sich nichts verändert, Per.«
    Chaeto sah zum künstlichen Himmel empor, der ein letztes Mal aufleuchtete. »Wir nehmen ein Neues auf. Können nicht zulassen, dass du … dein Vorhaben … vor einem neugeborenen Hortkind ausbreitest. Können das in Mers Nische nicht dulden. Wir haben unser Bestes versucht. Du hast dich für den kurvenreichen Weg entschieden. Von jetzt an wirst du ohne
uns weitergehen müssen.« Chaeto entzog Jebrassy die Hand, so dass dessen Finger in der Luft schwebten. »Ich habe deine Sachen hinausgebracht. Mer ist wie am Boden zerstört, doch das neue Kleine wird ihrem Kummer schon abhelfen.«
    Der Alte strich zum Abschied ein letztes Mal über Jebrassys Hals, dann drehte er sich um und humpelte davon. Dieses Hinken war erst in den letzten Jahren aufgetreten. Die Sanitäter, die in ihrer Arbeit innegehalten hatten, als wollten sie zuhören, machten sich daran, die übrigen Verletzten zu verarzten. Die anderen Zöglinge nahmen an Jebrassys Misere nur wenig oder gar keinen Anteil und wandten sich ab. Er hatte allzu viele Schläge und Stiche ausgeteilt.
    Vermutlich hatte Chaeto den Verwalter der Ebene, auf der sie zu Hause waren, bereits über Jebrassys Rausschmiss informiert. Der Verwalter würde Jebrassy aus dem Wohnbereich verbannen, auch wenn es dort noch leerstehende Nischen gab. Jetzt war er auf sich selbst gestellt. Nie würde er einen seiner Paten wiedersehen, es sei denn zufällig, vielleicht auf einem Markt. Und auch dann würden sie ihn nicht begrüßen. Von nun an war er das, was er seiner Meinung nach immer hatte sein wollen: vogelfrei. Und das schmerzte viel mehr als eine seiner leichten Verletzungen.
    Jebrassy rappelte sich hoch und sah sich nach jemandem, irgendjemandem, um, der so großzügig sein würde, ihn aus seinem Krug trinken zu lassen.
     
    Nachdem das Kampffeld geräumt war – sieben Kombattanten waren verletzt, aber keiner davon ernsthaft, was die Blutrünstigen unter den Zuschauern enttäuschte –, schoben sich im Tenebros, zwischen den inneren Weiden und der ersten Insel,
die Wände der Nauvarchia nach oben, damit sich Wasser in die verschlungenen Untiefen ergießen konnte. Schön geschmückte Boote wurden zu Wasser gelassen und hinausgerudert, denn jetzt fochten andere Zöglinge eine ruppige Seeschlacht miteinander aus, bei der es darum ging, möglichst viele Boote zu versenken. Diejenigen, die zuvor gekämpft hatten und noch gehen konnten, versammelten sich an den Mauern, aßen, tranken, jubelten und motzten, bis kaum jemand mehr die Kraft hatte, sich von der Stelle zu rühren. Das Licht des künstlich erzeugten Tag-Nacht-Zyklus wurde schwächer, bis trübes Dunkel herrschte. Die Wände der Nauvarchia senkten sich wieder, damit das Wasser abfließen konnte. Die ramponierten Boote wurden angehoben und weggerollt, und jene Zuschauer, die zu viel getrunken hatten und sich kaum mehr bewegen konnten, von ihren Freunden mitgenommen. Der Rest humpelte oder schlenderte über die Wiesen und Felder zurück – weggescheucht von den Ernteaufsehern, falls auf den Feldern etwas wuchs. Einige Unentwegte tanzten, laut singend, mit letzter Kraft über die Brücken zu ihren Unterkünften auf den drei Inseln, gut gelaunt und fest davon überzeugt, dass diese kleinen Kriege eine wunderbare Sache waren – ein ideales Mittel, die uralte Art bei Laune und Gesundheit zu halten.
     
    Jebrassy schob sich an der verdreckten Wand hoch, zuckte wegen des Drucks seiner Verbände zusammen und versuchte, sich ins Gleichgewicht zu bringen. Er hatte ziemlich viel Tork getrunken. Erst jetzt merkte er, dass jemand ihn beobachtete – jemand, den er tatsächlich sehen konnte.
    Er drehte sich um, um den scharfen, leicht kritischen Blick einer »Flamme« zu erwidern (wie man hübsche junge Frauen
in der Kalpa nannte), und versuchte dabei, Haltung zu bewahren. Sie trug eine offene Weste und locker fallende Hosen, deren Farben zeigten, dass sie im mittleren Block der zweiten Insel wohnte – genau wie Jebrassy, jedenfalls

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