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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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abzeichnete. Eine Gerontokratie aus Unsterblichen, die durch und durch von der eigenen unübertrefflichen Weisheit überzeugt waren, wachte über alles.
    Doch es gab einige, die sich mit diesen verstreuten Inseln in der abgrundtiefen Dunkelheit nicht begnügen wollten. Eine Minderheit, die gewiss nicht vernünftig dachte, doch zumindest nicht unter tödlicher Selbstzufriedenheit litt, sprach sich dafür aus, weiterzuziehen und die Wärme und das Licht der verbliebenen Sterne hinter sich zu lassen. Man wies sie zurück, mehr noch: brachte sie zumindest zum Schweigen, sofern man sie nicht liquidierte. Einer Handvoll Menschen gelang es zu fliehen – wobei sie alles opferten, was ihnen vertraut gewesen war – und sich so anzupassen, dass sie in den letzten öden und zerfallenden Grenzregionen des Kosmos überleben konnten. Diese Zurückgewiesenen und Verzweifelten verteilten sich später über einen Radius von dreihundert Milliarden Lichtjahren.
    Und da draußen, im fernen Dunkel, begannen sie zur Verblüffung der Gerontokratie neue Technologien zu entwickeln. Kühne Forscher hatten herausgefunden, wie man die bis dato tödlichen Risse und Gräben im Raum produktiv nutzen konnte. Aus dem, was die meisten anderen für eine trostlose, nichts mehr hergebende Raumregion gehalten hatten, gewannen sie riesige Energievorräte und Nahrungsmittel.
    Doch diesen letzten Pionieren gelang es nicht nur zu überleben: Dank ihrem nie versiegenden Einfallsreichtum bahnten
sie auch dem Fortschritt den Weg und vermehrten sich wie niemals zuvor. Als sie genügend Macht hatten, machten sie sich daran, ihre Unterdrücker zu vernichten oder zu neutralisieren, und schufen zahllose Imperien.
    Auf das Zeitalter der Dunkelheit folgte das Trillennium, die größte Lern- und Wachstumsperiode in der menschlichen Geschichte. In der Hochrechnung der Jahre vervielfachten sich die Nullen. Es wurde Geschichte gemacht, und alles kam und ging so schnell wie ein Aufflackern und Verlöschen unendlich vieler Kerzen. Alles Fremdartige verband sich miteinander, und alles Leben, ob menschlich oder andersartig, wurde toleriert und kontinuierlich verbessert. Zwangsläufig führte das auch zu einer Revision des Gattungsbegriffs »Mensch«. Sieg folgte auf Sieg, Neuerung auf Neuerung.
    Dabei spielte es keine Rolle, dass das Universum ständig schwächer und dünner wurde, denn trotz seiner andauernden Agonie vermochte es seine Jugend gut zu ernähren. Das währte so lange, bis die Nachkommen der Menschheit in den äußersten Raumregionen erste Spuren des Typhon entdeckten.
    Es dauerte eine Milliarde Jahre, schlüssige Beweise für die Existenz des Typhon zu sammeln – und danach nur noch die kurze Spanne von ein paar Millionen Jahren, das Phänomen zu analysieren und annähernd zu verstehen. Gerade wegen seiner Widernatürlichkeit löste dieses Phänomen viele neue Entwicklungen in der Mathematik und den Naturwissenschaften aus. Und es brachte neue Möglichkeiten, den Verstand zu verlieren.
    Nie zuvor hatte man so etwas wie den Typhon beobachtet. Weder Ort noch Ding, breitete der Typhon sich dadurch aus, dass er alternde Welten verschlang. Manche bezeichneten das
Phänomen – diesen gewalttätigen, aggressiven Katalysator des Wandels – als Krankheit, als Seuche, als Parasiten. Andere behaupteten, hier sei eine jüngere, ungezügelte Schöpfung am Werk, die die zerfallenden Reste der alten Schöpfung durchsetze.
    Wo der Typhon sich ausbreitete, regierte Schlimmeres als Stille. Die Knoten dieses Universums lösten sich auf: Vermessungen versagten, Visierlinien zerfaserten zu Fraktalen. Informationen wurden von zahllosen Spielarten der Singularität verschluckt, Systeme stürzten plötzlich ab oder gaben ihren Geist gänzlich auf, Daten kollabierten, wurden abgefangen, verzerrten sich, verwandelten sich in seltsame Zeichen, und die Elementarteilchen spielten verrückt … Und all das beschleunigte sich so, dass keine Impulse mehr übertragen werden konnten, schnitt quer durch die alternde Matrix, zerfraß das verrottende Gewebe, schuf Regionen, die nicht aus der zumindest vertrauten Dunkelheit bestanden, sondern in denen Inkonsistenz und Regellosigkeit herrschten.
    Angeblich konnte dort alles Mögliche passieren. Genauer gesagt: Es gab viele Berichte darüber, dass dort tatsächlich alles Mögliche passierte. Und das konnten selbst die zähesten und stursten Kinder der Erde – die letzte Welle der Siedler, die in die Diaspora gegangen waren – nicht ertragen.

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