Die Stadt am Ende der Zeit
Diesem Phänomen wurden sie nicht mehr Herr, die meisten hielten ihm nicht stand. So viele von ihnen wurden Opfer des Typhon, dass einem angesichts der Zahlen schwindlig werden konnte; sie überschritten alles bisher Dagewesene. Überlebende, die ihre irdischen Ursprünge immer noch in Ehren hielten, zogen sich schließlich in ihr altes Heimatsystem zurück. Dort hatte sich die Menschheit – besser gesagt: deren Nachkommen sowie Hybriden
und vielfältige Verbündete – inzwischen in der Feste der alten Erde verschanzt und lebte im schwindenden Licht einer wiederbelebten Sonne, umgeben von den letzten sterbenden Planeten.
Die Populationen, bei denen sich Masse und Energie zu neuen Arten verbunden hatte, waren gezwungen, unter sehr eingeschränkten Bedingungen mit den anderen zusammenzuleben. Es folgten schwierige Zeiten – Hunderttausende von Jahren sinnloser Gewalt: die Materiekriege. Und draußen wütete der Typhon und stieß immer weiter vor.
In gewisser Hinsicht hatte das letzte Kapitel der Kalpa vor mehr als einer Million Jahren begonnen, als die Fürsten der zwölf irdischen Städte Sangmer den Pilger beauftragt hatten, einen früheren Bürger namens Polybiblios zu suchen und aus dem Reich der Shen zurückzuholen. Die Shen waren Geschöpfe, die behaupteten, keine Abstammungslinie mit irgendeiner Art zu teilen, die auch nur entfernt der Gattung Mensch ähnelte. Sangmer hatte die letzten freien Regionen des Kosmos durchquert, die sechzig Sonnen der Shen erreicht, Polybiblios gefunden, der auf der größten der Kettenwelten lebte und arbeitete, und ihn durch die zerfallenden Raumregionen zurückbefördert. Aufgrund seiner langjährigen Forschungen bei den Shen hatte Polybiblios enormes Wissen erworben.
Doch außer Polybiblios brachte Sangmer auch ein höchst ungewöhnliches Wesen namens Ishanaxade mit zur Erde. Manche behaupteten, Ishanaxade sei die Letzte ihrer Art; die Shen hätten sie gerettet und beschützt. Einige Millionen Jahre habe sich niemand um ihre weitere Entwicklung gekümmert, doch schließlich habe Polybiblios ihr eine neue Gestalt verliehen.
Alle Legenden über diese Zeit, die in vielen Aspekten voneinander abweichen, stimmen darin überein, dass Polybiblios Ishanaxade adoptierte und sie seine Tochter nannte. Auf dem Rückweg zur Erde oder kurz danach habe sie sich mit Sangmer verlobt, der für seine gefährliche und langwierige Reise reich belohnt wurde.
Die Letzten der alten Welten, die Sangmer auf dem Rückweg hinter sich ließ, waren dem Untergang geweiht: Das Chaos verleibte sich die sechzig Sonnen der Shen ein – ein Schicksal, das die Shen offenbar bereitwillig hinnahmen.
Als die Stadtfürsten Polybiblios in ihren Herrschaftsbereich zurückholten, gingen sie ein Risiko ein. Doch inzwischen waren die Städte zum Äußersten entschlossen, mussten sie doch tatenlos zusehen, wie eine Sonne nach der anderen verschluckt und umgewandelt wurde. Sie setzten darauf, dass Polybiblios es aufgrund seiner Ausbildung bei den Shen schaffen würde, das Chaos fernzuhalten. Und nach seiner Rückkehr zur Erde gelang es ihm tatsächlich, die Barriere zu schaffen, die Sonne und Planeten im Erdsystem so lange schützte. Die Shen hatten ihm viel beigebracht.
Die Menschen verdankten Polybiblios nicht nur das Überleben, sondern auch ihre geistige und seelische Stabilität. Doch keiner konnte wissen, wie lange und wie gut die von ihm geschaffene Barriere funktionieren würde. Wie viel hatte er auf der anderen Seite dieses sterbenden Himmels gelernt?
Die Barriere bot der Schreckensherrschaft des Typhon Einhalt; allerdings galt das nur für eine an den Polen abgeflachte Zone, die sich bis knapp hinter den schwer gebeutelten Neptun erstreckte. Jenseits dieser erstarrten Kugel aus Eis und Gestein
versiegte das Licht so abrupt, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. Und die Materie löste sich in dieser Raumregion auf wie Blut in Wasser.
Allgemein herrschte die Ansicht, man werde sich von jetzt an mit der Erde begnügen müssen, die kaum mehr als erkaltete Asche war. Niemals würde man die Lichtjahre entfernten Raumregionen zurückgewinnen können. Und so endete die Vorherrschaft der lebendigen, denkenden Wesen im Kosmos.
Manche bezeichneten diese Epoche als letztes Goldenes Zeitalter , denn sie waren der Meinung, das Unbegreifliche habe der lange währenden Vermessenheit menschlichen Lebens einen Denkzettel erteilt.
Doch es dauerte nicht lange, bis das Chaos die Barriere durchdrang, sich die
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