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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Du liegst im Sterben, weil das Universum krank ist und im Sterben liegt, stimmt’s?«
    Keine Antwort.
    »Aber ist das wirklich wahr? Kann ich eine andere Vergangenheit bekommen? Eine bessere, glücklichere Vergangenheit? «
    Auf diese Frage brauchte sie keine Antwort. Ginny tastete nach dem Kästchen in ihrer Jackentasche. »Wann wurde ich wirklich geboren?«, fragte sie. Plötzlich begriff sie.
     
    »Ich bin schon lange hier«, sagte Daniel in die überwältigende Stille hinein. »Tausende von Jahren. Millionen. Natürlich erinnere ich mich nicht mehr an alles, aber das zumindest habe ich herausgefunden. Und ich rede hier nur, damit die Zeit schneller vergeht, denn dies alles ist doch Blödsinn. Eigentlich erinnere ich mich nur noch an Bruchstücke dessen, was geschehen ist, ehe ich in den Körper von Charles Granger geschlüpft bin. Darin liegt das Problem – in den Dingen, die ich tun musste, um aus den schlimmen Welten, den sterbenden Welten zu flüchten. Ein großer Sprung nach dem anderen. Und jetzt ist nur noch ein Pfad, ein Fluchtweg offen.« Er durchschnitt mit der Hand die Luft und stach danach auf sie ein. »Direkt durch den Terminus hindurchgehen, um auf der anderen Seite wieder herauszukommen, wie’s dort auch sein mag. Also: Wer geht hindurch, und wer bleibt hier hängen? Vielleicht weißt du es ja gar nicht, weil es nicht zu deinem Job gehört. Aber falls irgendjemand hindurchgeht, dann bin ich es; ich bin deine Fahrkarte, häng dich ruhig an mich dran.« Die Stille schien noch tiefer zu werden. »Bist du die Kalkfürstin?«
    Daniel fühlte sich äußerst unwohl. Irgendetwas befand sich in diesem Raum, nur reagierte es nicht. Wie traurig. Irgendetwas Wichtiges, Wesentliches entging ihm, er kam nicht darauf.
    »Ich meine, das hier ist doch mein Vorsprechen in diesem Theater, oder nicht? Die anderen … Sie behaupten, von einer anderen Stadt zu träumen. Ich nicht. Also, warum haben diese Monstren sich so brennend für mich interessiert? Der Nachtfalter, Whitlow und Glaucous – was immer der sein mag … Was habe ich denen schon zu geben? Den Stein? Ich weiß nicht mal mehr, wie er in meinen Besitz gelangt ist. Ich glaube, ich habe jemanden getötet, um ihn an mich zu bringen. So komme ich jedes Mal an den Stein. Jemand muss dafür sterben.«
    Er hatte einen Moment das Atmen eingestellt, deshalb holte er jetzt kurz Luft. Mehr gestand er sich nicht zu, auch wenn ihm bereits schwindelig wurde.
    »Ich bin ein Wahnsinn, der von einem Mann zum nächsten zieht. Ich habe Menschen hintergangen, gelogen, andere zerstört und wurde selbst zerstört, aber ich bin jedes Mal entkommen. Was sagt das über mich aus?« Er schloss die Augen. Plötzlich schmerzte sein Kopf vor heftiger Sehnsucht, heftigem Verlangen.
    »Wir werden einander wohl nicht so bald finden, nicht wahr?«, flüsterte Daniel in die Stille hinein.
     
    Nachdem Jeremy seinen Vater im Motel auf dem Fußboden des Badezimmers entdeckt hatte, benachrichtigte jemand einen Krankenwagen, und es kamen Sanitäter. In Ryans Schädel war etwas Winziges geplatzt. Jetzt war er gelähmt und konnte nur noch lallen.
    Nie wieder erwähnte Ryan den Düsteren Aufseher. Das Letzte, was er im Krankenhauszimmer zu Jeremy sagte, ohne es näher zu erklären, war: »Rette deine Mutter. Denk stets daran.«
    In der Zwischenzeit hatte Jeremy, eigensinnig wie immer, bereits seine Entscheidung getroffen. Schließlich hatte er seine Eltern geliebt und sich stets besonders am Vorbild seines Vaters orientiert.
    Drei Tage später starb Ryan an einem weiteren Gehirnschlag. Sein Vater war ihm genommen worden.
    Es war eine Sache, wie Jeremy bald merken sollte, die Skeptischen zu übertölpeln, das Publikum zu bluffen und mit munteren Spielchen zu unterhalten, und eine ganz andere, sein Leben – ein mühseliges, aber stabiles und reales Leben – auf der festen, wunderbaren Grundlage guter wie schlechter Erinnerungen neu aufzubauen.
    Unmittelbar vor der Beerdigung ließ Jeremy den Gipsverband entfernen. Aus allen Teilen Washingtons, Oregons und Idahos reisten Magier, Komiker, Gaukler und Schauspieler zur Trauerfeier an. Jeremy war nie klar gewesen, wie viele Menschen seinen Vater geliebt hatten, was lediglich zeigte, wie wenig er über wesentliche Dinge wusste.
    Ehe er das Zimmer im Motel 6 räumte, öffnete er den Schrankkoffer seines Vaters. Er enthielt zahlreiche Taschenbücher, vor allem von Clive Barker und Jack Kerouac (Letzteres gab den Ausschlag dafür, dass Jeremy sich

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