Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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weiter reichte als die Zeit.
    Jack lachte laut auf. »Ich hab auf dem Fahrrad gesessen, stimmt’s? Das ist meine erste richtige Erinnerung, denn es war das erste Mal, dass ich in Erscheinung trat. Deshalb fällt es allen so schwer, sich an einen von uns zu erinnern. Wir sind Neuankömmlinge, und du bist immer noch dabei, die Leerstellen auszufüllen.«
    Zwischen denen, die die Fäden miteinander verbinden, und denjenigen, die erkennen und beurteilen, herrscht nichts als Liebe. Ohne euch wären die Musen überflüssig. Und nachdem ihr das Erkennen aufgegeben habt, werdet ihr der Freude der Substanz teilhaftig. Doch jetzt verblasst sie zu einem Nichts.
    Jack rieb sich die Augen und starrte auf den Tropfen an seinen Fingern. Er wusste nicht, was diese Tränen zu bedeuten hatten. Trauer über einen Verlust, der schlimmer war als der Tod … Welche Freude war hier gemeint?
    Das war das größte Geheimnis überhaupt, und er würde bald vergessen, dass er je davon gehört hatte.

    Daniel saß so lange auf dem Stuhl, bis die Stille ihn zu verschlingen drohte, und immer noch spürte er nichts, hörte er nichts.
    Er stand auf, wanderte umher, rieb sich dabei die Hände, und einen Moment lang machte sich ein kleiner Teil von Fred in ihm bemerkbar: in Form einer Gedankenkette, die mit Mathematik und Physik zu tun hatte. Das Integral über alle möglichen Pfade ist der effizienteste, der wahrscheinlichste Pfad. Nutze den ganzen Kosmos dazu, alle möglichen Stränge in einer Matrix von permutierten Texten zu generieren. Eine Universalbibliothek trägt dazu bei, den wahrscheinlichsten Pfad zu generieren, wie sich von selbst versteht.
    Daniel lächelte bitter. »Wie schön für dich. Du tüftelst also immer noch Dinge aus. Nur werde ich daraus überhaupt nicht schlau. Und aus dem hier am allerwenigsten.«
    Freds Gedanken verblassten.
    »Ich bin Daniel!«, rief er zur hohen Decke hinauf. »Ich habe diese Steine seit Anbeginn der Zeit geschützt, über alle Weltlinien hinweg! Du musst mich doch kennen! «
    Stille.
    »Ich hatte mal eine Familie. Ich hatte einen Bruder. Viele Brüder. Ich erinnere mich an sie, jedenfalls an einige. Ich glaube, einer hieß John oder Sean. Ich bin nicht einfach so aus dem Nirgendwo aufgetaucht. Ich kann dir davon erzählen, was geschehen wird – es wird noch schlimmer als jetzt kommen –, falls du überhaupt hier bist. Aber du bist nicht hier … Oder doch?«
    Draußen fiel Staub. Überall fiel Staub.
    Er ließ sich wieder auf den Stuhl fallen. Die anderen würden vermutlich lügen und behaupten, sie hätten ein nettes kleines Schwätzchen gehalten, mit wem oder was auch immer. Nichts als Heuchelei. Bidewell zog ein Täuschungsmanöver durch, um ihre Steine an sich zu bringen. Vielleicht hatte der
Alte sie eingesperrt und würde sie hier drinnen verhungern lassen.
    »Ich weiß, wer ich bin, auch wenn du es nicht weißt«, murmelte er in die reglose, kühle Luft.
    Doch jetzt war er keineswegs mehr sicher, ob das auch stimmte.
    Irgendetwas in den Zimmerecken hatte sich verändert. Daniel erstarrte, setzte sich aufrecht hin und spähte aufmerksam zu den Schatten hinüber.
    Erinnere dich. Denk sehr weit zurück, weiter als jeder andere. Du kamst aus den äußeren Regionen, die allen Forschern verborgen sind, und schließlich brachte man dich zum Hauptstrang.
    Erinnere dich.
    Seine Augenlider flatterten. Er schloss die Augen und biss die Zähne zusammen. Er sah einen Ort vor sich, einen riesigen Bau, der aus etwas Ähnlichem wie Stein bestand und still in einem Trichter auf einer weiten, glatten Ebene ruhte. Dort herrschte seit Millionen von Jahren Stille, falls Zeit an diesem Ort überhaupt irgendetwas bedeutete. Er sah, wie er sich von Zimmer zu Zimmer bewegte, ohne tatsächlich zu laufen – zuerst als Kind, dann als Jugendlicher –, und fühlte sich dabei entsetzlich einsam und innerlich leer. Er wuchs nicht nach und nach heran, sondern verschwand in einem bestimmten Alter, um älter und gereifter an einem anderen Ort wiederaufzutauchen.
    Und jenseits des riesigen Gebäudes, am Rande der fernen, verödeten Hügel, wurden gewaltige Geschöpfe ohne Gesichter oder Gesichtszüge gefangen gehalten, die sich niemals rührten. Sie warteten auf ihre Vorladung.
    Das Tal der Toten Götter.
    Daniel war gezwungen, sich an das Unmögliche zu erinnern. Wieder einmal war er neu erschaffen worden. Und danach hatte man ihn so weit von jedem Hauptstrang der Realität fortgebracht, dass seine frühesten Erinnerungen