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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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zurück? Wohin entschwindest du, wenn du springst? In ein anderes Selbst? Wie viele Versionen von dir gibt es?
    Jack brach der Schweiß aus. »Ich weiß es nicht.« Er wischte sich über die Stirn und danach über die Wangen. Bestimmt hockte irgendwo irgendjemand und sprach durch ein Loch oder über einen Lautsprecher mit ihm. Zeit, die Sache realistisch zu sehen. Es war jetzt willens, die Illusion, er könne springen, völlig aufzugeben. Das war ihm schon immer verrückt vorgekommen. Und auch die Erinnerung an die dunkle, zerfallende Welt und an das, was jenseits der Membran lag, würde er als Täuschung abtun. Gib das alles auf – kein Problem. Denk
nicht mehr an Glaucous, die riesige Frau und die Wespen – einverstanden. Vergiss die in der Zeitschleife erstarrte Stadt jenseits des Lagerhauses. Vergiss die Damen, selbst Ellen und Dr. Sangloss, und vergiss auch Bidewell. Ich werde mit allem und allen Schluss machen – na ja, vielleicht nicht mit Ginny. Aber stell mir bitte nicht solche Fragen, denn über die Antworten grüble ich schon seit Jahren nach . Wie viele Versionen meines Selbst habe ich verraten, indem ich ihrem Kummer einfach ausgewichen und zu besseren, sicheren Weltlinien gesprungen bin?
    »Ich kann ja nicht alle Versionen von mir gleichzeitig verkörpern. « Er versuchte zu lachen. »Dann würde mir der Schädel platzen!«
    Vielleicht waren seine Erinnerungen ja falsch. Vielleicht war er nie aus dem Heck des Van entkommen. Alles zwischen neulich und heute mochte eine Lüge sein, eine Illusion, und Glaucous quälte ihn immer noch: Sie hielten ihn hier fest, indem sie, von Wespen beflügelt, ihre Schicksalsfäden um ihn woben. Vielleicht kam das Zischen oder Surren daher, und dieser hohe schmale Raum war voller Wespen, die das einzige Fenster verdunkelten? Wie konnte er es wissen?
    Nochmals versuchte Jack zu lachen, brachte aber nur ein Krächzen heraus, das an das Rascheln von Papier erinnerte.
    Doch wenn er Glaucous Realität zugestand, gab er damit auch zu, dass Jeremy Rohmer – Jack Rohmer – etwas Besonderes war, spezielle Gaben hatte, besondere Träume träumte. Genau wie Bidewell oder Mnemosyne (wer oder was sie auch sein mochte) lieferte Glaucous keine plausible Erklärung dafür, wo er sich derzeit befand und was von ihm verlangt wurde. Vielleicht waren sie alle vom gleichen Schlag. Wahnsinn hält sich nicht an Logik oder Regeln.
    Beim Gauklermarkt hatte sich anfangs niemand an ihn erinnert, nicht einmal Joe-Jim. Dieser leere Blick … Und dann war irgendetwas bei ihm eingerastet, und er hatte Jack erkannt.
    »Du hast mich wieder mit meinen Anfängen verbunden, stimmt’s?«
    Inzwischen schwitzte Jack stark.
    »Wie lange existiere ich schon?«
    Was ist deine früheste Erinnerung?
    Das Hafengebiet mit den hoch aufragenden Kränen. Das letzte Tageslicht, das wie aufloderndes Gold zwischen die grauen Lagerhäuser fällt. Sie wirken nicht viel anders als das von Bidewell, nur nicht so alt. Er sah eine holperige Straße vor sich, deren Steinpflaster mit Asphalt überzogen war, an vielen Stellen mit Schotter und Beton aufgefüllt. Über die Straße fielen Lichtstrahlen, so dass Schatten und Helligkeit einander ständig ablösten und sein Gesicht sich abwechselnd erwärmte und abkühlte, während er zum Hafen radelte. Und in seiner Hosentasche, neben dem Stein, steckte immer noch …
    Jack zog das Origami-Puzzle heraus, strich mit den Fingern über die Ränder, stieß durch einen gefalteten Hohlraum hindurch, zerrte an einem Papierstreifen, den er vorher nicht bemerkt hatte.
    Der Stein, der kam und ging, war sehr viel früher aufgetaucht als das Origami-Puzzle. Er verband Vergangenheit und Zukunft miteinander, rief Beschützer herbei und hatte ihm seine Registriernummer zugewiesen, die Nummer, nach der Glaucous gefragt hatte. Vermutlich stand sie auf der Innenseite des Achtecks, das er noch immer nicht zu entfalten gelernt hatte.
    Jack war nur ein Buch in einem Bibliotheksregal.
    »In den Träumen bin ich bei ihm , beim Bibliothekar. Er kennt meine Registriernummer, kennt die Nummern aller Bücher in der unendlich großen Bibliothek, denn er hat sie geschaffen. Er ist der Urheber meiner Existenz. Was auf der Hand liegt.«
    Er öffnete das Achteck ordentlich, ohne dabei irgendetwas zu zerreißen. Ein Problem gelöst!
    Während es sich weiter entfaltete, kullerten die Ziffern über den Fußboden und wanden sich so an den Wänden hoch, dass sie rings um Jeremy einen endlosen Zahlenkreis ergaben, der

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