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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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menschliche Karikaturen und Monster, die selbst das Vorstellungsvermögen der Eidola überstiegen.
    Nur die Kalpa und Nataraja blieben übrig. Doch bald darauf brach auch die Kommunikation zwischen diesen beiden Städten ab.
    Der Astyanax der Kalpa, der einzige noch lebende Stadtfürst, der das letzte bisschen Vertrauen zu seinem früheren Retter verloren hatte, schickte dessen Tochter Ishanaxade in die Verbannung. Es kann aber auch sein, dass sie die Stadt freiwillig verließ, um nach Nataraja zu ziehen. Allerdings vermag bis heute niemand zu sagen, warum und ob Nataraja zu diesem Zeitpunkt überhaupt noch existierte.
    Vom Turm aus untersuchte Sangmer die neue Struktur der Erde und durchquerte danach das aufgewühlte Chaos, um nach seiner Frau zu suchen. Man hat ihn nie wiedergesehen.
    Bald darauf kam es zu einer schrecklichen Auseinandersetzung. Manche behaupten, der Bibliothekar habe sich am Astyanax rächen wollen, weil der Stadtfürst seine Tochter verbannt hatte. Jedenfalls sabotierte er die Barriere rund um die Kalpa so, dass vier der sieben Bione dem Typhon anheimfielen. Im Gegenzug vernichtete der Astyanax das Leben in den Ebenen und tötete die erste Population der uralten Art – die Menschen, die Ishanaxade aufgezogen und unterrichtet hatte.
    Der Turm wurde fast zerstört, er zerbrach in zwei Hälften. Doch der Bibliothekar überlebte. Schließlich zeichnete sich mit grausamer Deutlichkeit ab, dass die letzten Nachkommen der Menschheit, wie sie auch gestaltet und beschaffen sein mochten, welche Lebensphilosophie und Ziele sie auch verfolgten, dem Chaos nicht mehr lange standhalten würden.
    Da ihm andere Eidola gewaltigen Druck machten, erklärte der Astyanax sich schließlich zu Zugeständnissen bereit.
    Indem der Bibliothekar sich mit den besten Köpfen der Kalpa zusammentat und mehr als die Hälfte aller städtischen
    Energiereserven einsetzte, gelang es ihm, einen viel kleineren, stärker konzentrierten Ring von Realitätsgeneratoren zu schaffen – die Verteidiger – und den Typhon ein letztes Mal zurückzudrängen. Er verbannte ihn hinter die Grenze des Realen.
    Damals glaubten die meisten Bewohner, die Stadt Nataraja und deren Rebellen hätten nicht überlebt.
    Nachdem Sangmer zu seiner letzten Reise aufgebrochen und dabei spurlos verschwunden war, stellte der Astyanax jeden Versuch, die Kalpa zu verlassen, unter Strafe. Die Außenfenster der verbliebenen drei Bione und alle weiteren ließ er zumauern, bis auf die im Zerstörten Turm, in dem nach wie vor das wichtigste und seltsamste aller Eidola residierte.
    Die Arbeit an den Ebenen wurde wiederaufgenommen und eine neue, leicht veränderte Population der uralten Art in die Welt gesetzt.
    Ein junger Instandsetzer namens Ghentun, der sich in keiner Hinsicht besonders ausgezeichnet hatte, wurde nach Malregard bestellt, von den Angelins ins Verhör genommen und zum Hüter der Ebenen auserkoren. Und damit war diese Sache erledigt. Es gab keine weiteren Bewerber auf den Posten.
    Wie so viele andere junge Instandsetzer dieser Zeit hatte auch Ghentun sein genetisches Erbe aufgegeben und noetische Masse angenommen. Doch der Bibliothekar ließ ihn durch seine Epitome wissen, er müsse wieder die alte, urzeitliche Gestalt annehmen, wolle er als Hüter dienen.
    Allerdings lief bei der Rückverwandlung etwas schief: Ghentun bewahrte zwar seine Geschichtskenntnisse, büßte jedoch alle persönlichen Erinnerungen ein. Der alte Ghentun verschwand, ein neuer wurde geboren. Aber bei wem hätte er sich beschweren sollen? Kleine Instandsetzer stellten die Entscheidungen Großer Eidola niemals in Frage.
    Manchmal, wenn Ghentun seine Schützlinge beim Schlafen beobachtete, sah er, wie sie plötzlich erschauerten. Es kam ihm so vor, als reagierten sie auf etwas Seltsames, als lauschten sie Todesschreien aus der tiefen, zerstörten Vergangenheit, als könnten sie die Leiden ihrer Artgenossen nachempfinden. Die Leiden der Menschen, die aus derselben Materie bestanden wie sie selbst, Fleisch von ihrem Fleisch. Menschen, die sich an miteinander verbundenen Schicksalsfäden entlanggehangelt hatten, bis die Fäden gewaltsam durchtrennt worden und sie in den dimensionslosen Abgrund des Typhon gestürzt waren.
    Genau dazu hatte man diese neue alte Art ja auch geschaffen: Sie waren die Kanarienvögel in einer Kohlengrube.
    Sie sollten den Beweis dafür erbringen, dass die Ebenen nicht das nutzlose Spielzeug eines dementen Großen Eidolon waren, sondern die letzte reale Chance

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