Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
Vom Netzwerk:
Vernichtung gewartet hatten. Dieser Krieg war noch gar nicht so lange her. Und jetzt bahnten eben diese Eidola – oder viele von ihnen – durch ihre blinde Selbstzufriedenheit dem Chaos den Weg.
    Angeblich ging das Chaos mit den Eidola besonders unbarmherzig um. Ghentun zog bittere Befriedigung daraus, dass er diese Lektion in Geschichte jetzt so anschaulich miterleben durfte. Es reute ihn zutiefst, dass er seine ursprüngliche Substanz
einst so leichtfertig aufgegeben hatte, dass er auf das Erbe seiner Art zugunsten der Hoffnung, er könne einige Tausend Jahre in den höheren Kreisen der Stadt mitmischen, verzichtet hatte. Ein unverzeihlicher Selbstverrat …
    Der einzige Verrat, der ihm noch schlimmer vorkam, war …
    Er dachte über die immer noch vagen Informationen nach, die ihm der Stadtfürst aufgrund seiner tieferen Erkenntnisse übermittelt hatte. Selbstverständlich durfte er auch dem Stadtfürsten nicht trauen. Doch was, wenn sich dessen Erkenntnisse als wahr erwiesen? War er, Ghentun, dann zum Racheengel der Kalpa ausersehen?
    Die Angelins rührten sich nicht, störten ihn nicht in seinen Überlegungen. Vielleicht bereitete sich auch der Bibliothekar auf seine letzten Momente vor.
    Der Hüter fragte sich, was aus dem jungen Nachgezüchteten geworden sein mochte, den er hier abgeliefert hatte. Hatte ein wahnsinniges Großes Eidolon in seiner leidenschaftlichen, sinnlosen Gier nach aufschlussreichen Einzelheiten den Jungen analysiert, in Stücke zerlegt, seziert? Oder hatte man ihn weggesperrt, da er sich wie all die anderen katalogisierten Experimente als Fehlschlag erwiesen hatte?
    Was Ghentun jenseits der Grenze des Realen sah, was er durch die Reihen zerstörter, umgestürzter Verteidiger hindurch erkennen konnte …
    Noch immer versuchten diese Wächter die Kalpa zu schützen, doch das Chaos hatte mit seinem Feuer fast die ganze alte Realität der Erde verzehrt, ihre Zeit und ihr Geschick in Schutt und Asche gelegt. Zugleich hatte der Typhon perverse Einschlüsse geschaffen, in der Stücke verzerrter Realität noch erhalten waren. Und jetzt stellte er diese Trophäen wie in einem
Kuriositätenkabinett zur Schau. Er hatte die zerstörten Artefakte vergangener Zeiten, das Kulturgut uralter irdischer und anderer Städte eingesammelt, irgendwie hierherbefördert und rings um die letzten Bione der Kalpa aufgebaut. Näher an der Stadt als je zuvor, so als wollte der Typhon die nächsten Opfer mit diesem entsetzlichen Anblick darauf hinweisen, dass auch sie bald dran sein würden. Dass er auch sie bald einschmelzen, verunstalten und über sein düsteres Territorium verteilen würde.
    Wer konnte noch daran zweifeln, dass der Typhon all das hasste, was sich innerhalb dieses riesigen zerstörten Schutzrings befand? Wer konnte bestreiten, dass die ganze Existenz des Typhon darauf ausgerichtet war, die rätselhafte Schöpfung auseinanderzunehmen und neu zusammenzusetzen, obwohl er sie niemals verstehen würde?
    Inmitten dieses Durcheinanders ermordeter Geschichte lag der Zeuge wie ein trister, abstoßender Berg. Aus dem riesigen lädierten Schädel und den zusammengesunkenen Gesichtszügen ragte immer noch das langsam rotierende Auge, das mit seinem grauen Strahl die Region rings um den Turm sondierte.
    Ghentun spürte nur Leere in seinem Herzen, keinerlei Gefühl. Jetzt lernte er die wahre Natur seines lebenslangen Gegners kennen, den Feind all dieser verstreuten Galaxien und all derjenigen, die sich früher Menschen genannt hatten. Den Feind, der auch sein eigenes Leben geprägt und verdorben hatte. Allerdings hatte dieser Feind auch die Erschaffung der Wesen ausgelöst, die Ghentun so sehr liebte und jetzt trotzdem im Stich lassen musste …
    Leere.
    Nichts als Leere.
    Ghentun hielt nach den Verkehrswegen Ausschau, die sich im Umfeld der Kalpa stets durch das reaktionsfähige verharschte Gebiet des Chaos geschlängelt hatten. Die Pässe. Wenn man sie aus der schützenden Höhe der Stadt eingehend beobachtete, konnte man dort angeblich riesige Schweigende entlanghuschen sehen. Zweifellos suchten sie nach Nachgezüchteten der alten Art, nach Marschierern. Alle, die sie erwischten, beförderten sie zu schrecklichen Lagerstätten und lieferten sie dort aus: in der Nekropolis, im Haus der Töne, im Haus des Grünen Schlafes, in der Festung der Finger, im Tal der Toten Götter und des todbringenden Flusses, in der Ebene der Fallgruben … Oder an irgendeiner anderen der vielen Stationen von Umwandlung und

Weitere Kostenlose Bücher