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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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Was zählte, war der Ausgang dieser Geschichte. Ihr kurzes Leben (das jetzt vielleicht kürzer ausfallen würde, als ihr lieb sein konnte) hatte sie weitgehend in gnädiger Unwissenheit verbracht, eingehüllt in die wärmende Decke gesellschaftlicher Konventionen, umgeben von den armseligen Lebensphilosophien ihrer Mitreisenden. All das hatte sich zu einer Atmosphäre zusammengefügt, die Ginny in gewisser Hinsicht schützte, denn die kleineren der unmöglichen
Erlebnisse, die mit ihren Sprüngen zu anderen Weltlinien verbunden waren, waren an dieser Atmosphäre einfach abgeprallt oder durch Reibung »verglüht«, ehe sie ihr zusetzen konnten. Diese schützende Atmosphäre war das, was gemeinhin als Realität galt.
    Auch das eine Art Schutzblase, ebenso unerklärlich wie die andere.
    Nun ja, hier draußen war auch diese Blase zusammengeschrumpft. Sie war jetzt völlig auf sich gestellt.
    Als etwas Riesiges ganz in der Nähe vorbeifegte, kauerte sie sich wieder in die Kuhle. Flüchtig erkannte sie einen Funken sprühenden Schatten, der so schrill schrie oder aufheulte, dass das Geräusch durch die Blase drang und ihren Ohren wehtat. Als er vorübergezogen war, sammelte sie nach und nach genügend Mut, um erneut nach draußen zu spähen, und bemerkte, dass die kleine Kuhle neben einer Art Straße lag, die farblos und weder hell noch dunkel wirkte — wie etwas, das man bei Mondlicht schwach erkennen kann. Die Straße erstreckte sich bis zu einem gezackten Horizont, der an ein Sägeblatt erinnerte.
    »Halt dich von Passwegen fern«, murmelte sie. »Wer die nimmt, könnte so stark sein, dass er deine winzige Blase zerstört. Oder dich sieht und einfängt.« Sie wusste, was es mit dieser inneren Stimme auf sich hatte: Tiadba hatte sich erneut gemeldet. Und von so nah!
    Trotz dieser Warnung ging Ginny am Passweg entlang, der ein Dutzend Schritte entfernt lag (sofern sie es richtig abschätzen konnte, was schwierig war), und stieg bald darauf einen Hang hinunter, der zu einer weitläufigen graubraunen Ebene führte. Zu beiden Seiten ragten Gebirgswände und dahinter
schwach auszumachende, seltsame Bauwerke auf, die offenbar leer standen, denn dort rührte sich nichts. Zweimal musste sie sich hinter Felsen oder in Bodensenken verstecken, als riesige, hoch aufragende, oben abgeflachte Gestalten lautlos und ohne Vorwarnung auf dem Pass vorbeiglitten. Sie wollte gar nicht wissen, was sie waren. Beim flüchtigen Blick aus der Ferne glaubte sie Köpfe, so groß wie Busse zu erkennen, die hin und her zuckten, und Augen, die das Gelände unter dem Passweg sondierten. Doch sie bemerkten Ginny nicht.
    Ihr wurde klar, dass jetzt nicht Grübeln, sondern schnelles Handeln angesagt war. Sie konnte es sich nicht leisten, in dieser verrückten Umgebung auch noch selbst durchzudrehen. Das wäre genauso absurd, wie ein Streichholz mitten in einer Supernova zu entzünden.
    Also ging sie weiter. Der zerknautschte dunkelviolette Himmel ohne Sterne beunruhigte sie nicht, solange sie nicht nach oben blickte. Seltsam war allerdings das Gefühl, dass ihr ringsum stille Feindseligkeit entgegenschlug. Sie fühlte sich wie eine Fliege, die ein Pferd im Schlaf von seinem Hinterteil zu verscheuchen versucht, indem es mit dem Schwanz ausschlägt. Mochte ihre Anwesenheit hier irgendeine Wirkung haben oder auch nicht: Jedenfalls gab dieser Ort sich alle Mühe, sie zurückzustoßen und jegliche Mutmaßungen, die sie früher darüber angestellt hatte, zu widerlegen. Trotzdem wollte sie unbedingt auskundschaften, was es mit dieser Ebene, diesem Tal auf sich hatte. Wohin sie auch blickte, überall war der Horizont gekrümmt. Allerdings mochte das auch daran liegen, dass das Licht hier verrückt spielte.
    »Ich weiß nicht, was das bedeutet. Hör auf, darüber nachzudenken! «
    Die Ebene zwischen den Bergzügen … die Monumente oder Skulpturen: Ein Teil von ihr hatte das alles schon früher gesehen. Tiadba war hier gewesen, war immer noch hier.
    Oder würde bald hier sein.
    Vielleicht würden sie einander begegnen.
    »Ich weiß nicht, ob mir das gefallen würde«, flüsterte sie im Gehen. »Meine Nerven liegen sowieso schon blank.« Als etwas auf dem Pass vorbeihuschte, das wie ein riesiger flacher Teller oder eine zerquetschte Krabbe mit menschlichem Gesicht aussah, ließ sie sich erneut zu Boden fallen und wartete ab, bis es vorübergezogen war. Dann stand sie wieder auf und bemerkte dabei, dass unmittelbar vor ihr eine grünlich schimmernde geschwungene

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