Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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hinabfuhren. »Und wie soll Traurigkeit einen innerlich frei machen?«

    Im letzten flackernden Licht des teilweise eingestürzten künstlichen Himmels wanderten sie an den von dunklen Streifen durchzogenen Kanälen entlang, vorbei an den Ausläufern der drei Inseln. Für Jebrassy verging die Zeit dabei wie im Nu. Doch der lange Spaziergang zu dem Lager, in dem man die Marschteilnehmer ausgebildet und ausgerüstet hatte, ließ ihm allzu viel Zeit zum Nachdenken, und sein Selbstvertrauen schwand. Als sie die Hütten und Zelte erreichten, entdeckten sie verstreute Fußspuren in Sand und Staub. Jebrassy kauerte sich nieder. Irgendjemand hatte sich an dieser Stelle erst hingekniet und danach im feinen Sand niedergelassen. Er beugte sich hinunter, um zu schnuppern. »Sie ist hier gewesen.«
    »Sicher«, erwiderte Ghentun.
    »Wie weit ist es noch?«
    »Wir sind jetzt rund fünfzig Kilometer gelaufen und haben noch etwa fünfundsechzig Kilometer vor uns, bis wir zwischen den inneren Realitätsgeneratoren der Kalpa hindurchgehen und die Zwischenzone erreichen. Übrigens ist es das letzte Mal, dass wir tatsächlich wissen, wie weit wir von irgendetwas entfernt sind. Das letzte Mal, dass so etwas wie Entfernung überhaupt noch einen Sinn ergibt.«
    Jebrassy verstand. »Was geschieht, wenn die Kalpa fällt? Sind dann Märsche, egal wohin, völlig sinnlos? Was passiert, wenn wir nicht mehr abschätzen können …«
    »Besser, darüber jetzt noch nicht nachzugrübeln«, erwiderte Ghentun. »Trauere einfach um deine Toten und halte die Erinnerungen
an sie hoch.« Er kniete sich voller Kummer und zugleich stolz auf Jebrassy neben ihn in den Sand. Wie ein Vater, sagte er sich.
    Später führte er Jebrassy zu dem silbernen Kuppelbau und zeigte ihm die letzten drei Schutzanzüge. Zwar gab es keinen Pahtun mehr, der sie hätte einweisen können, aber sie kamen trotzdem zurecht. Jebrassy wählte einen blauen Schutzpanzer und brauchte beim Anziehen kaum Hilfe. Offenbar flog ihm die Fähigkeit, damit umzugehen, einfach zu. Als Ghentun eine entsprechende Bemerkung machte, zuckte er nur die Achseln. »Ich weiß nicht, wie es geschieht, es passiert einfach … Ich erinnere mich überhaupt nicht daran, so etwas je gesehen zu haben, aber vielleicht tut es mein Körper. Kann auch sein … dass der Bibliothekar mir immer noch meine Geschichte vorliest, aber ein paar Seiten übersprungen hat.«
    Diese Bemerkung beunruhigte Ghentun. Wer von ihnen beiden würde der Anführer sein und wer derjenige, der folgte? In mehr als einer Hinsicht hatten sich die Distanzen verschoben.
    Ghentun probierte einen der Anzüge an, die dem Ausbilder gehört hatten. Das Material schien sich seinem stämmigeren Körper recht gut anzupassen. Die Handschuhe versiegelte er noch nicht.
    »Es kommt jemand.« Jebrassy deutete über den Kanal.
    Ghentun sah, dass sich eine kleine blasse Gestalt vor dem dunklen Schlamm abzeichnete, der durch den Sand gedrungen war und jetzt den Kanalboden verunzierte. Die Gestalt bewegte sich unbeholfen und ruckartig.
    »Es ist kein Nachgezüchteter«, sagte Jebrassy, zunehmend beunruhigt. »Und für einen Hochgewachsenen ist er nicht groß genug.«
    Ghentun weitete sein Sichtfeld so aus, wie es ihm als Instandsetzer möglich war. Die Gestalt war ein Epitom, Teil eines Großen Eidolon. Sie rührten sich nicht von der Stelle und warteten ab.
    »Ich kenne ihn«, erklärte Jebrassy, als das Geschöpf näher kam. »Ich erkenne das Gesicht wieder.«
    »Das Geschöpf hat dir ein Gesicht gezeigt?«, fragte Ghentun verblüfft.
    Trotz der merkwürdigen Gangart bewegte sich die Gestalt zügig vorwärts.
    »Ich habe mich einer fürchterlichen Tortur unterzogen«, rief das Epitom und gesellte sich gleich darauf zu ihnen auf den sandigen Kanalboden. »Habe mich in ein Geschöpf aus ursprünglicher Substanz verwandelt. Hält aber noch immer nicht ganz zusammen, glaube ich.« Es streckte eine kleine blasse Hand hoch, wendete sie hierhin und dorthin und inspizierte die Finger so, als sehe es sie zum ersten Mal. »Alles hat seine Grenzen, das wird jetzt immer offensichtlicher.« Neidisch musterte es Ghentuns Blütenfinger. »Ist das wirklich nützlich? Sieht jedenfalls nützlich aus.«
    Ghentun, dem dabei die eigene Rückverwandlung in ursprüngliche Substanz einfiel, verzog das Gesicht und ballte, peinlich berührt, die Hand zur Faust. In ehrenwerter Gesellschaft galt es als unhöflich, Blütenfinger offen zu erwähnen.
    »In wenigen Stunden bin ich