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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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ausrangierte Schweigende, deren Augen glasig wirkten. Vermutlich waren sie blind.
    Und trotzdem noch am Leben.
    Hier gab es kein Ende, keine Gnade, keine Vernunft.
     
    Die Marschierer konnten schon gar nicht mehr zählen, wie oft sie von Erscheinungen verfolgt worden waren, die unsichtbar blieben. Ihre Schutzanzüge und der Leitstrahl der Kalpa, der immer noch leise summend pulsierte, führten sie durch Gräben
und Schluchten voll aufgewühlter zäher Flüssigkeit. In diesem öligen Schlamm schienen irgendwelche Objekte zu treiben oder versunken zu sein. Sie gingen an den flachen Ufern blauer Feuerseen entlang und warfen auf den bräunlichen Klippen lange Schatten, als wären sie Marionetten in einem Schattenspiel. Es war eher eine geistige als eine körperliche Erschöpfung, die ihnen zusetzte.
    Die Nachgezüchteten waren aus gewöhnlicher urzeitlicher Materie erschaffen worden. Und wenn Geschöpfe, die aus solcher Materie bestehen, allzu viel Fremdartiges zu verarbeiten haben, müssen sie sich dies entweder gewaltsam aus dem Gedächtnis reißen oder ausruhen. Aber Ruhepausen konnten sie sich kaum leisten, also vergaßen sie vieles, was sie sahen, gleich wieder. Und das war eine Gnade.

88
    Glaucous packte Jack und Daniel und zerrte sie zurück in die rot umrandeten Schatten. »Wir werden verfolgt«, sagte er.
    Große Gestalten glitten geschmeidig über das Kopfsteinpflaster und durch die Straßen. Als Jack die Augen zusammenkniff, meinte er anfangs, mehrere Käfer zu erkennen, die lange aufgedunsene Würmer mitschleppten. Doch als er blinzelte, sah er plötzlich etwas anderes: Schlangen, die mit schaufelartigen Köpfen wackelten, in denen tiefdunkle Augen saßen. Wie Tausendfüßler bewegten sie sich auf zahlreichen Gliedmaßen vorwärts und zogen lange, aufgeblähte Körper hinter sich
her, die sich wanden und krümmten. Schließlich bogen die Monstren mit ihren Opfern um die Ecke und verschwanden hinter einer eingefallen Mauer; aber wegen des Lichts hier draußen spürte Jack in den Augen noch ein Nachflimmern der Szene.
    Daniel hatte sich so fest an eine Wand geklammert, dass er sich die Finger an Steinen und Mörtel wundgescheuert hatte. »Was sind das für Wesen?«, fragte er.
    »Hab so was wie die noch nie gesehen.« Glaucous schüttelte den Kopf.
    »Wirklich hässlich«, bemerkte Jack.
    »Also konnten wir doch nicht entkommen, Jack«, sagte Daniel. »Die schlimmen Orte haben uns eingeholt.«
    Sie wollten gerade weitergehen, da sahen sie über die eingestürzten Mauern hinweg sieben menschenähnliche Gestalten aus einer anderen Richtung auf sich zukommen. Sie gingen hintereinander, wie bei einer Prozession, hatten die Köpfe gesenkt und trugen Gewänder aus blutrotem Stoff, die hinter ihnen herschleiften. Doch das, was sich unter dem Stoff abzeichnete und dagegenschlug, konnten unmöglich Beine sein, schon gar nicht zwei menschliche Beine. Ihre glatten Gesichter waren dunkel, und statt Augen hatten sie senkrechte Schlitze, die rötlich schimmerten. Das glatte strähnige Haar fiel ihnen bis auf die Schulter.
    Glaucous bedachte seine Gefährten mit einem eigentümlichen Blick, der fast an den eines Todgeweihten erinnerte. So mochte ein hungriger Mann auf ein ihm serviertes Festmahl blicken, von dem er weiß, dass es vergiftet ist. Oder ein zum Strang Verurteilter auf seinen Henker. »Bei jeder Gelegenheit durchsuchen sie die Trümmer der alten Städte«, erklärte er.
»Vielleicht sind diese Orte ihnen noch immer nicht geheuer, weil das Chaos sie noch nicht völlig absorbiert hat.«
    Daniel ekelte sich so, dass er fast würgen musste, doch er überspielte es mit einem Husten. Jack wartete ab, bis die Straßen wieder frei waren, schob die Hände in die Jackentaschen und setzte den Marsch über das aufgerissene, holperige Pflaster fort.
    Sie folgten ihm.
    »Woher kommen die überhaupt?«, fragte er Glaucous.
    »Das weiß ich genauso wenig wie du. Die Gebieterin hat den Nachtfalter in ihren Diensten, und ich nehme an, der Nachtfalter beschäftigt seinerseits Gespenster und solche Wesen, die ich nie gesehen habe, nicht einmal bei Rissen in der Zeit. Falls das die Wesen sind, die sich die Hirten gekrallt haben – mit Hirten meine ich die Kinder, die wir an unsere Gebieterin überstellt haben –, haben sie sich mir jedenfalls nie vorgestellt. Sie sind nie offen in Erscheinung getreten.«
    »Würden sie dich erkennen und Befehle von dir entgegennehmen ?«, fragte Daniel.
    Glaucous lachte sich ins Fäustchen und

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