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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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auf der Erde keine Spur von ihnen blieb.
     
    Offenbar hatten sich die Shen mit ihrem Schicksal abgefunden, und das mit einer Gelassenheit, die einen in den Wahnsinn treiben konnte. Sie hießen uns im Reich ihrer sechzig grünen Sonnen willkommen, säuberten uns von allen Spuren des Chaos und kurierten uns von unseren Leiden. Als wir in den uralten, überaus schlichten, kalten Steinkammern der Letzten Schule unsere Wiedergeburt erlebten (die sowohl eine Tortur als auch eine wunderbare Erneuerung war), lernten wir Polybiblios kennen, eine einfache, unscheinbare Gestalt, ungewöhnlich klein für einen Deva.
    Unter den Shen hatte er sich einen Namen als die Neugier in Person gemacht.
    In all ihren Verhaltensweisen und mit all ihren Geschichten gaben die Shen ein Beispiel dafür, welche erhabene Demut darin liegt, eigene Irrtümer zu berichtigen. Tag für Tag hielten sie sich an die gestrenge Richtlinie, die eigene Blindheit und Beschränktheit zu erkennen. Polybiblios, der schon seit einer Million Jahren bei ihnen lebte, hatte aufmerksam beobachtet, wie sie auf das drohende Chaos reagierten, nämlich gar nicht. Als wir ihm unser Anliegen vortrugen, konsultierte er seine Shen-Lehrer, und ohne zu zögern entschieden sie sich nach einer kurzen, rätselhaften Erklärung dafür, ihn hinauszuwerfen. »Sonst wirst du nur weitere Fehler machen und noch mehr Verwirrung schaffen«, teilten sie ihm mit. »Wir können dir nicht gestatten, auf unseren Kettenwelten unter den Grünen Sonnen zu bleiben. Alles sollte jetzt schnell zu einem Ende kommen, aber das wird es nicht, und zwar deinetwegen. Ein Kosmos wird den anderen ablösen, eine Herausforderung die nächste, ohne jede erkennbare Folgerichtigkeit. Alles wird aus den Fugen geraten, sich aber dennoch bis in alle Ewigkeit fortsetzen, denn du wirst missbrauchen, was wir dich gelehrt haben. So sei es also. Denn wieder einmal haben wir uns geirrt. Vollendung bedeutet Tod, und für uns stellt diese Vollendung etwas Gutes dar. Du jedoch weist die Reinheit unserer Gedanken weit von dir.«
    Trotzdem erlaubten sie Polybiblios, sich das anzueignen, was er schon so lange begehrte: ihre letzte und größte Entdeckung. Sie hatten das Geheimnis entschlüsselt, wie man aus Quantenschaum winzige Kosmen erschaffen kann –
endliche, doch unvorstellbar wirksame Samenmengen, aus denen neue Universen keimen würden.
    »Jetzt kann ich aufbrechen«, sagte Polybiblios, neigte kurz den Kopf und lachte auf Shenart, um seine Freude und zugleich seinen Kummer auszudrücken.
     
    Unsere Heimreise führte uns durch Raumregionen, die das Chaos uns auf brutalste Weise enthüllte. Stolz schlug der Typhon seinen Umhang so weit zurück, dass wir jene Systeme und Zivilisationen, die nicht schon vor Ewigkeiten das Feld geräumt hatten, in all ihrer Blöße erkennen konnten – versprengt über die verkümmerten Geodäten. Milliarden deformierter Sonnen, früher in diesem Trillennium die großen Wirkungsfelder der Menschheit, erstreckten sich wie Bänder glühender Asche quer durch das Dunkel. Aus diesen Raumregionen drangen Signale zur Intensity , die schwer zu entschlüsseln waren.
    Doch als Polybiblios sie (gegen unseren Rat, der sich auf eigene Erfahrungen stützte) analysierte, erkannten wir einmal mehr, auf welch gründliche und perverse Weise der Typhon sein Zerstörungswerk verrichtet. Denn die armen Ungeheuer, die in diesen vernichteten Raumregionen überlebt hatten, glaubten immer noch an den Bestand der früher gültigen Naturgesetze und deren Grundlagen. Sie setzten immer noch auf irgendeine Zukunft und hielten uns für die Ungeheuer, die gejagt und vernichtet werden mussten.
    Vielleicht waren wir ja genau das. Inzwischen zweifelten wir an allem und jedem.
    Unsere Bosonenfalle und die darauf basierenden Antriebe fielen aus. Jetzt nagte das Chaos an der letzten Technologie,
die uns geblieben war und die wir einsetzen mussten, wollten wir nicht eine Ewigkeit für die Rückkehr zur Erde brauchen. Polybiblios wandte all das an, was er bei den Shen gelernt hatte. Schließlich setzten wir unsere Reise in einer Traumblase fort, die wir dem Kosmos aus dem brandigen Fleisch gequetscht hatten, wehrten um sich peitschende, angreifende Raumfetzen ab und brüteten selbst in unserer Abgeschiedenheit solchen Wahnsinn aus, machten solche Persönlichkeitsveränderungen durch, dass wir neun weitere Besatzungsmitglieder verloren, da wir sie töten mussten.
    Der gewundene Korridor, durch den wir reisten, die letzte

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