Die Stadt am Ende der Zeit

Schweigenden vorbeihuschten – Welle auf Welle dahingleitender Ungeheuer, die sich jetzt noch schneller als früher über die breite, schwabbelige Oberfläche bewegten. Es dauerte einige Zeit (jedenfalls kam ihnen die Zeit ewig lang vor; sie wollte einfach nicht vergehen, und sie begannen sich zu langweilen), bis die Oberfläche wieder glasig wurde und sie den Marsch fortsetzen konnten.
    Erneut tauchte der rotierende Suchscheinwerfer des Zeugen auf und peitschte durch den Himmel. Irgendetwas passierte da weit draußen im Chaos, denn es schossen dichte Rußwolken in den Himmel empor, die bald darauf auf den Boden zurückzusanken. Es sah gespenstisch aus, so als ragten qualmende Schädel aus der Erde.
    Nach weiterem Dauermarsch und erneuten Rauchexplosionen bemerkte Khren, dass sich der Himmel zu ihrer Linken verändert hatte, allerdings weit entfernt von der Richtung, in der ihr Leitstrahl am heftigsten pulsierte. Doch keiner der anderen sah das, was Khren beobachtete, so sehr sie sich auch anstrengten.
    »Offenbar spielen meine Augen verrückt«, sagte Khren niedergeschlagen.
    »Oder meine«, bemerkte Shewel.
    »Wie hat’s denn ausgesehen?«, fragte Nico gereizt.
    »Das reicht«, fuhr Tiadba dazwischen. »Wir bringen ihn noch dazu, irgendwas zu erfinden.«
    »Das würde ich nie tun!«, erwiderte Khren empört.
    »Lasst uns hier ein Weilchen anhalten.«
    »Da draußen ist es wieder«, sagte Herza, während Frinna nach links deutete. Beide hatten in der Kuhle zwischen zwei
bräunlichen, von Rissen durchzogenen Bodenerhebungen etwas Blaues schimmern sehen.
    »Vielleicht ist es eine weitere Version von Pahtun«, meldete sich der Schutzpanzer. »So weit hier draußen kann es aber auch jemand anderes aus der Kalpa sein, jemand, der älter ist.«
    Skeptisch erwogen sie diese Möglichkeit. »Ein Täuschungsmanöver? «, fragte Nico.
    Keine Antwort. Alles hier konnte Lug und Betrug sein; bis auf den Leitstrahl durften sie sich auf nichts mehr verlassen.
    »Ich werd’s auskundschaften«, erklärte Macht. »Hab diese Eintönigkeit sowieso satt. Eine kleine Klettertour und ein paar Sprünge kommen da genau richtig.«

92
    »Kommt er dir anders vor als früher?«, wollte Glaucous von Daniel wissen. Vor ihnen erkämpfte Jack sich den Weg durch die aufgerissenen, umgewandelten Straßen, Mauern und Gebäude. Es war nicht zu übersehen, wie beunruhigt er war. Kein Wunder: Es gab keine Möglichkeit vorherzusagen, was hier draußen als Nächstes passieren würde, oder abzuschätzen, in welcher Weise die Situation sich verändert hatte, seitdem Ginny hier durchgekommen war.
    Sie wussten ja nicht einmal, ob sie Ginnys Spur folgten.
    »Er geht aufrechter«, erwiderte Daniel.
    »Er wirkt älter «, erklärte Glaucous. »Und wagemutiger. Immerhin geht er ein Risiko ein, wenn er uns beide hier zurücklässt. Was sagt dir der Stein?«
    »Er zerrt mich immer noch in diese Richtung.« Ringsum ächzten und knackten die Trümmer der ehemaligen Stadt. Es klang so, als schöben sich dicke Gletscher über einen Felshang. »Falls auch das Mädchen dieses Zerren spürt und es in dieselbe Richtung weist …«
    »Tut es«, versicherte Glaucous. »Hast du so was schon mal gesehen?« Er deutete auf die trostlose Szenerie, die ständig so abrupt wechselte, als hätte irgendein Schwachkopf eine absurde Diashow zusammengestellt.
    »Nur ein einziges Mal. Vielleicht hat auch Jack so was schon mal gesehen.«
    »Als er vor unserer Gebieterin geflohen ist?«
    »Kann sein.«
    »Sie ist da drüben, beim alten Lagerhaus. Ich kann sie spüren. «
    »Wird sie dich dazu benutzen, uns zu finden?«
    »Falls du fragen willst, ob ich Zweige knicke oder Steine umdrehe, um ihr Hinweise zu geben … nein, tu ich nicht. Aber die Gebieterin weiß stets, was ihre Diener treiben und wo sie sich aufhalten. Zumindest war es auf der Erde so. Hier … Kann sein, dass die bizarren Umstände ihr die Scharfsicht nehmen.«
    »Das hier ist aber immer noch die Erde. Jedenfalls teilweise. Schau dich um, vielleicht erkennst du diese Gebäude wieder, bist ja alt genug.«
    »Stammen aus Asien, würde ich sagen.« Glaucous schnaubte in sein Taschentuch, inspizierte es – auch diesmal enthielt es klebrige schwarze Rotze – und schüttelte den Kopf. »War aber
niemals dort. Jedenfalls sind wir von deiner Stadt meilenweit entfernt.«
    »Bidewell hat gesagt, jetzt würde alles miteinander vermengt. «
    »Ach ja? Hab ich gar nicht mitbekommen.«
    »Und alles ist entweder verbrannt oder