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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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erschöpft und heiser klangen.
    Möglich, dass sie diesen Untoten wie Dampf oder ein Wolkenfetzen vorkam. Und doch blieben einer oder zwei von ihnen stehen und sahen mit ihren trüben, schwachen Augen blinzelnd zu, wie sie vorüberging. Was sie sprachen, konnte sie kaum verstehen, aber ein Teil von Tiadba kehrte zu ihr zurück, so dass sie nach und nach die Sprache aus ihren Träumen wiedererkannte. Dem Wenigen, das sie verstehen konnte, entnahm sie, dass diese hastig dahinwatschelnden Gestalten in Hochstimmung waren, da sie glaubten, am lange ersehnten Ziel ihres Marsches angekommen zu sein. Ginny fragte sich kurz, ob sie womöglich Recht hatten. Vielleicht war das dunkelgrüne Bauwerk, das aus dem Trichter in der Talmitte aufragte, ja wirklich ihr Bestimmungsort. Der Marsch war hart gewesen – kein Wunder, dass alle so ausgelaugt waren. Allerdings hatte ihre Traumschwester Tiadba von keinem Marsch gewusst, an dem Tausende teilnahmen. Wie konnten sie alle gleichzeitig und zusammen am Rande des Tals eintreffen?
    Eine der Marschteilnehmerinnen (nicht Tiadba, die Ginny aufgrund ihrer engen Verbindung sofort erkannt hätte) versuchte Ginny näher in Augenschein zu nehmen. Sie hatte ein breites Gesicht, große Augen und eine stumpfe, affenähnliche Nase, die mit feinem Pelz überzogen war. Allerdings waren die Härchen jetzt verfilzt und fleckig.
    »Irgendetwas ist dort. Ist es ein Monster?«, fragte ein anderer.
    »Bin mir nicht sicher. Und der Schutzanzug sagt nichts.«
    »Der Schutzanzug ist tot, genau wie wir.«
    »Sag doch nicht so was! Es ist so groß wie ein Hochgewachsener. Falls es wirklich da ist.«
    »Es ist ein Monster. Halte dich von ihm fern!«
    Die Frau streckte die Hand aus, um die Erscheinung zu berühren. »Bist du wirklich ein Monster?«
    Ginny traute sich nicht zu antworten. Wie würde ihre Stimme in den Ohren dieser Wesen klingen? Bestimmt würde sie ihnen genauso gespenstisch vorkommen wie alles andere zwischen diesen von Statuen gesäumten Bergen. Und wieso konnte sie diese Statuen nicht deutlicher erkennen und erfassen, was sie waren? Die riesigen deformierten Gebilde rührten sich nicht und hätten genauso gut tot sein können … Das zumindest konnte sie mit Gewissheit sagen.
    Eine beträchtliche Anzahl von Marschierern, es mussten Dutzende sein, hatte das Schritttempo inzwischen gedrosselt und dem der Gefährtin angepasst, die die Erscheinung offenbar immer noch wahrnahm. »Ist das Ding noch da?«, fragten mehrere.
    »He du!«, rief die Frau und wollte Ginny erneut berühren, doch die Schutzblase rings um Ginny stieß die zerschrammte, verletzte Hand sanft zurück. Gleichzeitig schlug eine blassblaue Spirale heraus, die Ginny einen Moment lang mit der Frau verband, ehe sie wieder erlosch.
    Eine Verschränkung. Also mussten sie teilweise aus derselben Materie bestehen, hatten einige der Substanzen miteinander gemein, wenn auch nicht viele.
    Ginny wandte den Blick ab, blinzelte ein paar Tränen weg und konzentrierte sich auf den von Rissen durchzogenen Steinpfad. Sie konnte nichts für diese Geschöpfe tun, und zugleich machten sie ihr Angst. Sie wollte nicht so wie sie enden. Doch war ihr klar, dass auf Tiadba ein noch schlimmeres Schicksal wartete.
    »Du da!«
    Als die Frau ihren Gefährten irgendetwas zuflüsterte, blieben sie plötzlich stehen und kesselten Ginny so ein, dass sie nicht weitergehen konnte. Als sie es versuchte, wurde sie zurückgedrängt. Und sie konnte auch nicht mehr zu einer anderen Weltlinie springen, die Augen schließen und einfach weiterziehen oder sonst etwas unternehmen, das früher vielleicht möglich gewesen wäre. Sie saß in diesem Kreis fest.
    »Was ist es? Ich kann’s kaum erkennen.«
    »Ein Hochgewachsener.«
    »Eine weitere Version von Pahtun?«
    »Nein. Löst den Kreis nicht auf! Haltet das Ding fest, bis wir wissen, was es ist.«
    »Wir sollten weitergehen.«
    » Erinnert sich denn keiner mehr?«, schrie die Frau. »Immer wieder haben wir versucht, das Tal zu durchqueren und die Stadt zu erreichen. Und immer wieder hat man uns zurückgewiesen, so dass wir von vorn anfangen mussten!«
    »Ich hab’s aber ganz anders in Erinnerung. Wir sind fast da. Es ist dort schön und hell, und es liegt ganz in der Nähe. Schau doch hin! Wir haben das Chaos hinter uns und werden’s schaffen …«
    Ginny verschränkte die Arme und musterte die fahlen Gesichter, deren Haut sich schälte. Manche der Gestalten waren kaum mehr als über dem rauen Boden schwebende

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