Die Stadt am Ende der Zeit
und hinterließ dabei tiefe Fingerabdrücke im Einband. Nach und nach und so, als hätte man es beleidigt, nahm das Buch wieder die ursprüngliche Form an.
»Das hier ist die letzte Ernte, die wir einbringen«, bemerkte Ghentun. »Entweder klappt es mit diesen Züchtungen oder gar nicht.«
8
Die erste Insel
»Glaubst du etwa, ich würde einer Flamme deine Geheimnisse anvertrauen?« Khren machte ein derart bestürztes Gesicht, dass Jebrassy ihm sofort das schlechte Gewissen ansah.
Sie hockten in Khrens Nische, wegen der atmosphärischen Störung zwischen ihnen allerdings nicht ganz so locker wie sonst. Ringsum war die farbenfrohe, wenn auch nutzlose Beute verstreut, die sie beim Gefecht gemacht hatten: Fähnchen, die sie dem Gegner abgenommen hatten, und zwei gepolsterte, schwere Stabwaffen, in deren Ornamente – ineinander verschlungene Blätter – gute Wünsche für den Kampf eingraviert waren. Außerdem hatte Khren bei einer Wette auf den Sieger der Seeschlacht einen prachtvollen Krug Tork gewonnen.
»Was hast du sonst noch ausgeplaudert?«, fragte Jebrassy. Beide kannten einander, seit die Umber sie im Hort zur Welt befördert hatten.
»Sie war neugierig. Hat Fragen gestellt, und ich habe sie beantwortet. Sie hat gewisse Methoden, einen zum Reden zu bringen, das weißt du ja.«
Jebrassy kniff die Augen zusammen und grinste. »Bist du etwa scharf auf sie?«
Verärgert darüber, dass Jebrassy sich den Freund und das Mädchen offenbar nicht als verknalltes Paar vorstellen konnte, lehnte Khren sich zurück und starrte zur Zimmerdecke hinauf. »Natürlich nicht. Ich hab eine andere im Auge.«
Dieser anderen war Jebrassy bisher noch nicht begegnet, Khren hatte ja nicht einmal irgendeinen Namen erwähnt.
»Würde sie mir was bedeuten«, sagte Khren, »hätte ich ihr gesagt, dass Jugendmärsche Blödsinn sind, dazu noch gefährlich. Dich hat diese Sache ja sogar schon um deine ererbten Rechte gebracht.«
»Was könnte ich hier je erben?«
»Es ist doch gar nicht so verkehrt hier. Im Gefecht haben wir uns ziemlich gut geschlagen. Warum sollte man sich auflehnen, wenn es nichts gibt, was die Auflehnung lohnt? Außerdem sieht es ganz so aus, als wärst du einer hübschen Flamme aufgefallen, als du mit deinen Muskeln geprotzt und ein paar gute Schläge ausgeteilt hast. Wobei es ihr zweifellos um deinen scharfen Verstand und rebellischen Geist geht.«
»Die Hochgewachsenen können mit uns doch anstellen, was sie wollen. Wir können uns in keiner Weise dagegen schützen. Für die sind wir nur Spielzeug.«
»Ich betrachte uns lieber als Experimente «, erklärte Khren. Gleich darauf zuckte er mit den Achseln, denn diese Bemerkung
stellte auch schon den Gipfel seiner philosophischen Höhenflüge dar.
»Und was unterscheidet Spielzeug und Experiment voneinander? «
»Wir sind die Nachzucht einer uralten Art mit uralten Vorzügen. Falls wir Experimente sind, werden wir alle anderen überflügeln. Und dann werden sie uns für unsere Tapferkeit belohnen und unsere Ebenen in die Freiheit entlassen. Danach können wir hinziehen, wo wir wollen – selbst ins Chaos, falls es einen Besuch lohnt, was niemand weiß.«
»Es lohnt sich«, sagte Jebrassy, »da bin ich mir sicher. Ich habe meine Quellen …«
Khren hob die kleinen Ohren, was leichte Belustigung signalisierte. »Und bist selbstverständlich gut unterrichtet.«
»Ich habe tatsächlich Quellen«, betonte Jebrassy, um zumindest den zweiten Streitpunkt zwischen ihnen vorläufig beizulegen. »Warum musstest du ihr unbedingt davon erzählen, dass ich im Schlaf herumgeistere?«
»Das hab ich ihr ja gar nicht von mir aus erzählt. Sie hat so danach gefragt, als wüsste sie längst davon. Und sie kann sehr überzeugend wirken.« Anstatt weiterzureden, bedachte er Jebrassy mit einem so lüsternen, anzüglichen Blick, wie es sein derbes, breites Gesicht zuließ.
»Im Unterschied zu mir hat sie immer noch Paten«, warf Jebrassy ein. »Folglich wird sie wohl kaum noch einmal mit einem von uns beiden reden.«
»Aha.« Khren stand auf, schenkte sich Tork nach und fläzte sich wieder in die Kissen, ohne einen Tropfen zu verschütten. Angelegentlich musterte er die Farbe seines Getränks, auf das warmes Deckenlicht fiel.
»Ich brauche keine Gefährtin«, beteuerte Jebrassy. »Ich muss hier weg und herausfinden, wie es jenseits der Tore aussieht.«
»Du hast die Tore ja noch nicht mal gesehen, kannst sie nicht beschreiben. Alles, was wir über das Draußen wissen, sind
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