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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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zerfurchte Ebene hinweg beobachteten. Ihre Gesichter – so man sie denn als Gesichter bezeichnen konnte – schienen in stiller, nachdenklicher Überheblichkeit erstarrt, geformt von Jahrbillionen eines selbstbestimmten Wandels, hinter dem eine die gesamte Evolution lenkende Intelligenz steckte. Es waren recht unterschiedliche Gesichter und Körper, wohlgestaltet und zugleich unbegreiflich, monströs und zugleich wunderschön, wie so viele Meeresgeschöpfe. Nur waren das hier Meeresgeschöpfe, die auf einem ungeheuer großen, unendlichen Riff gestrandet waren.
    »Werden sie jemals wieder zum Leben erwachen?«, fragte Ghentun.
    Polybiblios schien zu einer Antwort anzusetzen.
    »Wir haben keine Zeit mehr für irgendwelche Lektionen«, fuhr Jebrassy barsch dazwischen. »Geht weiter.«
    Das Epitom reagierte mit Nachsicht. »Die Zeit ist tatsächlich knapper als früher. Doch für andere wird die Zeit nicht mit derselben Geschwindigkeit über dieses Tal hinwegfegen und auch nicht dieselben Momente mit sich bringen. Das hier ist ein Tohuwabohu, das einen Zeitstrudel ausgelöst hat. Jeder Pass, jedes Tor schickt die Eintretenden auf anderem Weg zur Talmitte.«
    »Ich dachte, es gäbe nur noch zwei Schicksalslinien«, wandte Ghentun ein.
    »Schicksalslinien, ja, aber innerhalb eines Zeitstrudels können diese einzelnen Pfade so herumwirbeln, dass sie parallel zu verlaufen scheinen. Man kann von einem zum anderen springen, aber sie sind Teil desselben, Teil einer einzigen Spirale. In vielen Regionen des Chaos wurden die Regeln, die für das sehr Kleine gelten, auch auf das Große übertragen, so dass man sich zweimal um sich selbst drehen muss, um wieder in dieselbe Richtung zu blicken. Und hier ist es noch komplizierter. Wir können hinter uns schauen: Es scheint einen Weg zurück, eine Rückzugsmöglichkeit zu geben, aber wenn wir einen Rückwärtskurs einschlagen möchten und versuchen aufzubrechen, werden wir scheitern.«
    »Wir könnten doch auf den anderen Pfad springen und auf diese Weise schneller zur Mitte gelangen, oder nicht?«, fragte Jebrassy.
    »Nein. Wir sind da, wo wir sein müssen.«
    Vor ihnen hatte sich die zusammengeballte Wolke zu einem auf dem Kopf stehenden Eisberg verdichtet, dessen Ränder an Sägezähne erinnerten.
    »Die Pfade werden sowieso bald miteinander verschmelzen«, sagte das Epitom. »Der Kosmos liegt in den letzten Zügen. Die Revolte des sehr Kleinen wird demnächst beginnen – und damit meine ich nicht dich, junger Freund. Der Druck auf den Typhon wächst. Hier draußen weiß der frühere Gebieter über das Chaos einfach nicht, in welcher Weise er Wandel bewirken soll.«
    »Wer oder was übt denn Druck auf den Typhon aus?«, fragte Ghentun.
    »Das hier ist alles, was noch übrig ist. Das Chaos ist auf zwei Kreise zusammengeschrumpft. Ein Kreis umgibt dieses Tal, der andere das, was von der Kalpa noch existiert. Vielleicht ist immer noch ein Verbindungspfad da, der mit Teilchen und Bruchstücken aus der Vergangenheit übersät ist, ich weiß es nicht. Mittlerweile mag er auch geschlossen sein. Da draußen jedenfalls liegt nichts mehr. Das ist die Hinterlassenschaft des Typhon, denn trotz all seiner Macht ist er nicht fähig, Spuren zu machen. Er hinterlässt nur Leere. Er hat versucht, ein Gott zu sein, und ist gescheitert. Jetzt kann er nirgendwo mehr hin. Ihm steht keine Fluchtmöglichkeit offen.«
    »Und alle Geschichten bleiben unvollendet?«, fragte Jebrassy unsicher und zugleich voller Abscheu.
    »Nein. Wenn wir Erfolg haben, wird etwas folgen, das nicht einmal mein vollständiges Selbst begreifen könnte. Wir werden wie Kinder sein, die sich einem Wunder gegenübersehen. Es gibt eine noch größere Macht, die bis jetzt den meisten unserer Billionen Jahrhunderte nur wenig Beachtung geschenkt hat.«
    »Hm. Der Schläfer?« Jebrassy hatte es satt, unwissend dazustehen, bis ihm jemand eine Lektion erteilte. Er wollte sich selbst Wissen aneignen, selbstständig lernen. Erfahren, was Tiadba zugestoßen war. Doch er hatte fast Angst davor.
    »Der Zeitstrudel ist für den Typhon die letzte Chance«, erklärte das Epitom. »Er muss uns erwischen und verhindern, dass die Integralläufer sich miteinander verbinden. Haltet nach Passwegen Ausschau, nach dahingleitenden oder aufsteigenden Wesen, nach Spähern, nach Schweigenden … Denn wenn sie nirgendwo mehr hin können, werden sie ihren Jagdgrund hier suchen.«
    Als sie auf den Trichter und das grüne Bauwerk in der Talmitte zugingen,

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