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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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schwarze Silhouetten um seine Füße herum und laufen vor ihm auf das grünliche Eis – ein ständiger Strom schweigsamer, aber rachedurstiger Pelztiere.

114
    Whitlow ist in Siegesstimmung, als sie sich dem Domizil der Königin in Weiß nähern. Hoch über ihren Köpfen summt im Hintergrund das prachtvolle Gewirr der Armillarsphäre. Das Kreuz liegt innerhalb des schwarzen Hohlraums, um den sich dieser imposante Kreisel dreht. Whitlow jubelt innerlich: Jetzt befinden sie sich unmittelbar im Zentrum, haben Macht, sind Privilegierte. Für ihren Erfolg wird man sie großzügig belohnen. Alles, was man ihnen versprochen hat, werden sie endlich erhalten.
    Der Nachtfalter schwebt über ihnen und ist überall zugleich, lenkt sie mit dem seidenweichen Schlag seiner gefleckten Flügel begeistert zum Mittelpunkt.
    Vor sich kann Glaucous durch ein Spalier ständig wechselnder Schatten einen der Hirten ausmachen – das Mädchen Virginia, das, begleitet von einigen Katzen, vorsichtig über das Eis geht. Er und Whitlow werden sie bald einholen.
    Glaucous wappnet sich.
    »Ein glänzender Abschluss«, sagt Whitlow zu ihm. »Um freien Durchgang zu erlangen, müssen wir dem Typhon, dem Gebieter der Kalkfürstin, nur einen einzigen Hirten, einen einzigen Integralläufer präsentieren. Oh, was für eine Beute, und ausgerechnet jetzt!«
    Glaucous bewegt sich vorsichtig, denn ringsum tun sich Furchen und Risse im Eis auf, die nur darauf zu warten scheinen, dass ein linkisches Wesen hineinfällt. Er fragt sich, wie sie das Mädchen von hier fortschaffen und ausliefern können – ehe die Katzen das tun, was ihrer Bestimmung entspricht.
    Der Nachtfalter streicht an ihnen vorbei und warnt sie: Es sind weitere Besucher aufgetaucht, die jetzt den grünen See überqueren. Selbst aus dieser Entfernung erkennt Glaucous die ihm bestimmte Beute. Jack. Vor dem Jungen wuselt eine riesige Ansammlung von Katzen hin und her, weit mehr als bei dem Mädchen, so dass es von weitem so aussieht, als bewege sich eine graue Flauschdecke über das Eis. Katzen sind von jeher Freunde von Büchern und Geschichten. Gesellen sich gern dazu, wenn jemand etwas vorliest, lassen sich auf irgendeinem Schoß nieder und beginnen zu schnurren. Der Tod aller Geschichten wird ihnen gar nicht gefallen.
    Der Nachtfalter berührt ihn erneut an der Schulter. Eine dritte Person ist auf dem See aufgetaucht: Daniel, der schlechte Hirte. Doch ihn begleiten keine Katzen; er ist allein.
    »Denken Sie doch nur mal an die Abgründe der Zeit«, schwadroniert Whitlow voller Ehrfurcht. »All das liegt jenseits unseres Begriffsvermögens. Und trotzdem sind wir hier, unter den Wenigen, unter den Letzten. Das macht mich stolz . Es rechtfertigt all unsere Qualen. All unsere armseligen Taten.«
    Glaucous nickt abwesend, denn er konzentriert sich auf das Kreuz, auf den Mittelpunkt. Immer noch bemüht er sich, den besseren der beiden verbliebenen Schicksalsstränge zu sich heranzuziehen.
    Der herumwirbelnde Käfig ist ihnen auf gespenstische Weise vertraut. Sie kennen ihn von all den rätselhaften Kästchen, die sie erbeutet und zusammen mit deren Hirten in den Riss der Zeit geworfen haben. Doch jenseits davon wartet ein entsetzliches Publikum, die Riesen aus seinen schlimmsten Alpträumen. Dass ein Alptraum wie er selbst jetzt seinerseits Alpträume wahr werden sieht, kommt ihm nur gerecht vor.
    Der schlimmste Alptraum überhaupt: vom Karren des Vogelfängers geworfen zu werden, in einem Gewirr von Federn über das Kopfsteinpflaster zu kullern … Und gleich darauf in den von Schlamm und Abfall verstopften Gossen das Scharren von Rattenklauen zu hören.

115
    Aus drei Richtungen marschieren die Reisenden über den See aus grünem Eis auf den Mittelpunkt des Bollwerks, die Armillarsphäre zu.
    Immer noch in seinen Schutzanzug gehüllt, tritt Jebrassy vorsichtig auf die glatte Oberfläche. Nur zwei Stimmen sind von der Kalpa übrig geblieben: die Stimme des Anzugs und seine eigene. »Hier gibt es Beobachter«, teilt der Anzug ihm mit, doch das weiß er bereits. Die Riesen aus dem Tal der Toten
Götter. Sie erinnern ihn an die Punktrichter in den kleinen Kriegen, die den Vorsitz über die Endspiele führten, doch wegen bestimmter Regeln selbst nicht eingreifen durften. Vielleicht dürfen die Riesen nicht eingreifen, weil sie in Wirklichkeit tot sind. Ihre Anwesenheit scheint im Chaos jedoch nichts und niemanden aufzuhalten. Dennoch ist er recht froh, dass sie nicht näher kommen.
    »Drüben

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