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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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rücken Schweigende an«, warnt ihn der Schutzpanzer. »Vielleicht hält die Armillarsphäre sie zurück. Außerdem haben sich die Integralläufer versammelt. Das rotierende Bollwerk ist die Kapsel, die ihre Geburt umschließt.«
    Jebrassy ist keineswegs klar, wie er hier in irgendetwas eingreifen kann. Er konzentriert sich auf die schimmernde Kuppel, die von den blauen Lichtbogen gebildet wird. Dort muss Tiadba sein, da ist er sich sicher.
    »Es gibt in dieser Umgebung keine unversehrten Schutzanzüge. Trotzdem sind hier Nachgezüchtete. Und andere.«
    Jebrassy ist sich der Gegenwart dieser anderen bewusst. Genau wie er streben sie dem Zentrum zu. »Wer sind sie?«
    »Pilger.«
    »So wie ich?«
    »Sehr ähnlich wie du.«
    »Ist mein Besucher dabei?«
    »Unbekannt.«
    Er nickt und bleibt stehen, um darüber nachzudenken. An jedem anderen Ort, an jedem anderen Punkt in seinem jungen Leben hätte er behauptet, da draußen seien Gespenster, doch jetzt befindet sich die Wirklichkeit auf einer Rutschbahn. Diese Pilger mögen zwar weniger real sein als er selbst, doch realer als die Schweigenden oder die Toten Götter. Einer von ihnen
hat ihn in seinen Träumen besucht. Und ist all dies denn realer als ein Traum? Dennoch vermutet er, dass selbst hier noch gewisse Regeln gelten. Es wird nicht alles Beliebige passieren können; wahrscheinlich sind die Möglichkeiten hier drinnen eingeschränkter als draußen im Chaos.
    Gemeinschaftsarbeit. Trag deinen Teil dazu bei!
    Die Stimme seines Besuchers erleichtert ihn ein bisschen. Die Pilger sind nahe bei ihm.
    »Wo ist Tiadba?«, fragt er seinen Schutzanzug.
    »Unbekannt.«
    »Lebt sie noch?«
    »Unbekannt.«
    »Alles rückt jetzt zusammen.«
    »Ja.«
    »Tue ich das Richtige?«
    »Es gibt kein Zurück.«
    »Werde ich mich einfach auflösen, so wie der Hüter?«
    »Unbekannt.«
    Jebrassy schüttelt den Kopf. Sie alle kommen von so weit her; er hat keine Ahnung, welche Entfernungen die Pilger zurückgelegt haben. Dennoch kommt er sich nicht unbedeutend vor, sondern ausnahmsweise sogar recht wichtig, wichtiger als die Toten Götter. Und zweifellos ist er mächtiger als diese Götter, auch mächtiger als jedes Eidolon. Er versucht sich die Kalpa vorzustellen, aber er kann es kaum noch, versucht sich auszumalen, wie Nataraja früher einmal ausgesehen haben mag. Jetzt ist die Stadt nur noch ein Trümmerhaufen, der zu guter Letzt auch noch gegen das rotierende Gebilde geschoben wurde – das Gebilde, das eine harte, glitschige, sehr kalte Seeoberfläche umhüllt und schützt.
    Nicht zum ersten Mal denkt er darüber nach, wie der Kosmos früher gewesen sein mag. »In wenigen Augenblicken wird alles zu Ende gehen, stimmt’s?«
    »Unbekannt.«
    »Gibt es noch etwas, das du mir sagen möchtest?«
    »Ja.«
    Sanft rauschend dringt die Stimme des Schutzanzugs in seine Ohren, wie rinnender Sand. Es gefällt ihm nicht, hier draußen ganz allein zu sein. Der See und das rotierende Gebilde verändern ständig die Perspektive, wohin er sich auch wendet. Also sieht er direkt nach vorn, blickt auf das blaue Licht. Immer noch umklammert er die kleine Skulptur, die Polybiblios ihm gegeben hat.
    »Du bist jetzt da.« Die Stimme des Schutzanzugs ist kaum noch wahrnehmbar. »Bring die Reise nackt zu Ende.«
    »Sterbe ich dann nicht?«
    Keine Antwort.
    Das Geräusch rinnenden Sandes bricht ab.
    Er hockt sich auf das Eis, holt hinter dem Visier tief Luft und beginnt den Schutzanzug auszuziehen; zuerst legt er den Helm ab, dann den Rumpfteil und schließlich die Arm- und Beinteile. Der Panzer lässt sich so mühelos vom Körper streifen, als schäle Jebrassy eine überreife Frucht. Während er sich auszieht, nähert sich ihm ein Geschöpf, wie er es in der Kalpa nie gesehen hat. Es ist kaum so lang wie sein Arm, hat vier Beine und ein schwarzweißes Fell, das so weich aussieht wie der Pelz auf Tiadbas Nase.
    »Ich hab von dir geträumt«, sagt er. »Man nennt dich …«, er kämpft mit Zunge und Lippen, »… Kat-se .«
    Das Geschöpf umkreist ihn langsam, mustert ihn und läuft schließlich davon. Offenbar ist er nicht das, wonach es Ausschau gehalten hat.
    Als Jebrassy aufsteht, hat er nur noch die Kleidungsstücke an, die er beim Aufbruch aus der Kalpa getragen hat. Das Eis unter seinen Füßen ist kalt. Alles hier ist außergewöhnlich kalt. Doch noch schlimmer ist, dass er immer leichter wird. Bei dem Gefühl wird ihm ganz mulmig. Hoffentlich löst er sich – und alles ringsum – nicht einfach in

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