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Die Stadt am Ende der Zeit

Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear
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mittlerweile waren Ghentun gewisse Zweifel an ihrer Sorgfalt gekommen. Er konnte nicht ausschließen, dass die Wächter von den städtischen Beamten beeinflusst wurden, von Eidola, die dem Astyanax treu ergeben waren. Und der Astyanax hatte sich in all diesen Hunderttausenden von Jahren kaum um die Ebenen geschert.
    In den höheren Etagen und reicheren Vierteln der Kalpa schienen die Realitätsgeneratoren es besser zu schaffen, die große Mehrheit der Bürger zu schützen. Hier kamen kaum Übergriffe des Chaos vor, doch das mochte auch daran liegen, dass das Chaos kein Interesse an den Eidola hatte. Und dennoch: Je mehr Überfälle auf die Ebenen da unten verübt wurden, desto gefährlicher konnte es auch für die höher gelegenen Stadtviertel werden – gefährlicher für deren Bewohner in einem realen, wenn auch metaphysischen Sinn, gefährlicher für den Astyanax in politischer Hinsicht.
    Sobald man den armen Landarbeiter weggebracht hatte, trugen die kleinen grauen Wächter die mit Kristallen überzogene Erde ab und lagerten sie in versiegelten Behältern ein. Wie
schon früher würde man die Behälter, das Opfer und alle Wächter, die Berührung damit gehabt hatten und deshalb verunreinigt waren, in die Kellergewölbe tief unter den Hochwasserkanälen sperren. Im vergangenen Jahrhundert hatte Ghentun diese Keller mehrmals aufgesucht. Wegen der Gärungsprozesse, die giftige Dämpfe freisetzten, war es da unten wirklich entsetzlich.
    »Den hier müssen wir an einen anderen Ort befördern, Hüter«, vertraute der leitende Wächter Ghentun an, der neben dem gekrümmten Leichnam kniete. »Die Keller sind fast voll.«
    Das war fast mehr, als Ghentun ertragen konnte. Sie würden den kontaminierten Beweis für den Übergriff ins Chaos hinauskatapultieren müssen.

18
    Das Zwielicht hatte sich in lohfarbenes Gold verwandelt, ein letztes Aufflammen, ehe zarte Schäfchenwolken und Zwielicht den Schlafzyklus ankündigten. Dieses Aufglühen tauchte alles ringsum in so diffuses Licht, dass Jebrassy kaum einen Schatten warf. Alles in seiner Umgebung, die jetzt alt und verkommen wirkte, schien sich im Nebel eines Traums zu verlieren.
    Die rötlich angestrahlten Diurne lagen an der Fassadenwand. Um dorthin zu gelangen, musste man einen ausgedehnten und an manchen Stellen tückischen Fußmarsch hinter sich bringen, der über den nicht mehr benutzten Dammweg bis zum Scheitelpunkt führte. In diesem Scheitelpunkt trafen die Kuppen der drei Inseln zusammen – die Plateaus, die die übereinandergeschichteten
Ebenen stützten. Die Fassadenwand erstreckte sich von hier aus fast fünftausend Meter in die Höhe, zum gewölbten künstlichen Himmel, der in endloser, monotoner Folge das Hell und Dunkel des Schlaf- und Wachzyklus erzeugte, wie schon seit Zehntausenden von Lebensspannen.
    Von der Stelle des Dammwegs aus, an der er gerade stand, konnte Jebrassy alles mit einem einzigen Blick erfassen. Außerdem sah er nach rechts und links, um sich zu vergewissern, dass keine Kreischeulen oder Wächter in den Schatten darauf warteten, Schlafwandler auf frischer Tat zu ertappen. Nach jedem Übergriff des Chaos waren die Wächter besonders auf der Hut.
    In Jebrassys Rücken führte der Dammweg über mehr als fünfzehnhundert Meter bis zu den Brücken, die früher als Verkehrsadern über den Tartaros gedient hatten, den breiteren der beiden Hochwasserkanäle zwischen den Ansiedlungen. Das Ende des Dammwegs flankierten vier schlanke, hundertfünfzig Meter hohe Spiraltürme, durchzogen von geriffelten Röhren, die früher angeblich tiefe, ehrfurchtgebietende Töne erzeugt hatten: Musik. Ob diese Türme von Anfang an zu den Diurnen gehört hatten oder erst später gebaut worden waren, wusste niemand zu sagen. Es gab hier eine Unmenge baufälliger Reste von rätselhaften Konstruktionen, die die Nachgezüchteten der alten Art einst geschaffen hatten. Für heimliche Besucher bedeuteten diese Relikte zusätzliches Gefahrenpotenzial. Schon vor vielen Jahren hatte man dieses Gebiet zum Sperrbezirk erklärt, durch Geröll blockiert und Kreischeulen als Wächter eingesetzt. Die meisten Gebäude waren seitdem längst eingestürzt, hatten den Betrieb eingestellt oder waren schlicht in Vergessenheit geraten, da sie nicht mehr benötigt wurden, denn nur wenige der alten Art spürten den Drang, hierherzukommen.
In den bewohnten Teilen der Ebenen gab es genügend Bauten, die schon bessere Zeiten erlebt hatten, wozu also sich mit diesen hier befassen?
    Am

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