Die Stadt am Ende der Zeit

Titel: Die Stadt am Ende der Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Greg Bear

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ein Arztbesuch. Doch der Text war in jeder Hinsicht irreführend. Weder ging es hier um einen Traum noch um eine Stadt . Und wie stand es mit dem Ende der Zeit ?
    Schon beim bloßen Gedanken daran, die Nummer zu wählen, bekam er heftige Kopfschmerzen.
    Eines war klar: Die Zeit der Freiheit, in der er sich vor größeren Entscheidungen hatte drücken können, war für ihn vorbei. Um einen besseren Schicksalsfaden zu finden, konzentrierte er sich auf die westliche Zimmerecke, wo die Decke mit den Wänden zusammentraf. Plötzlich neigten sich all diese Winkel und Linien und strafften sich. Vor sich konnte er ein Spannseil sehen, das sich bis in die Unendlichkeit erstreckte, zumindest in eine unermessliche Ferne, wobei es so vibrierte, als wäre es lebendig, und Töne erzeugte. Er würde Tage und Wochen auf den Versuch verwenden müssen, die Knoten dieses Seils aufzulösen, während er in dem unglückseligen Wind festsaß, in dem sich alles verhedderte …
    Oder aber er spielte einen eigenen Trumpf aus und traf auf der Stelle eine Entscheidung.
    Er fühlte sich hundeelend und legte die Hände über die Augen. Zweifellos hatte er nicht mehr alle Tassen im Schrank. War dabei, eine nach der anderen fallen zu lassen und zuzusehen, wie sie zersprangen. Hatte sich nicht mehr im Griff.
    Als er mit dem Fuß austrat, prallte seine Ferse gegen die alte Seemannskiste, den Schrankkoffer, in dem er die Requisiten früherer Shownummern aufbewahrte – die irdischen Güter seiner Eltern aus längst vergangenen Zeiten.
    Der Stein.
    Erneut trat er gegen die Kiste, um sich abzureagieren.
    Inzwischen waren alle Ratten hellwach und sahen ihm zu, ohne sich zu rühren. Nur ihre Barthaare zuckten. »Ich weiß ja, ich weiß …«, beruhigte er sie.
    Es war an der Zeit, sich Momente der Vergangenheit ins Gedächtnis zu rufen. Nachzusehen, ob der Stein noch in seinem Kästchen lag. Ein magischer Stein in einem magischen Kästchen – nur wusste Jack, dass hier keine Magie im Spiel war.
    Das Geheimnis liegt in der Erinnerung. Doch nicht immer gelingt es mir, mich zu erinnern …
    Er stand auf und griff nach der Verriegelung des Schrankkoffers. Um ihn ganz zu öffnen, musste er ihn von der Wand wegzerren. Als er sich an die Arbeit machte, geriet ihm irgendetwas in die Finger, das hinter dem Koffer steckte. Verwirrt griff er danach und versuchte sich ins Gedächtnis zu rufen, was er dort verstaut hatte. Er zog eine dünne schwarze Zeichenmappe hervor, die etwa fünfundsiebzig Zentimeter breit und fünfundvierzig hoch war. Sie war mit einem schmutzigen Leinenband verschnürt.
    Er löste den Knoten – damit kannte er sich gut aus.
    Die Mappe enthielt neun oder zehn Skizzen auf dickem Zeichenpapier, die ihm irgendwie bekannt vorkamen. Auf den ersten Blick sah es so aus, als wäre die oberste Zeichnung eine Darstellung von drei massiven Schiffsbugen, die durch eine aufgewühlte, dunkle See pflügten, so wie manche Ozeandampfer auf alten Seestücken. Doch die ausladenden Schiffsbuge waren stark gekrümmt und wuchtig, und das Meer ähnelte seiner Meinung nach eher einem Gebirge. Also konnten diese drei Objekte eigentlich keine Schiffe sein. Außerdem waren sie riesig, erstreckten sich Zehn-, wenn nicht Hunderttausende von Metern in die Höhe.
    Irgendjemand – nicht er selbst – hatte die geschwungenen Objekte durch dünne Linien und Schraffierungen mit Andeutungen von Details versehen. Vom mittleren und markantesten Objekt ragte ein schmaler Turm oder Mast in den Himmel. Nein, es waren eindeutig keine Schiffe, sondern architektonische Strukturen, Bauten.
    Er schob das erste Blatt zur Seite, wobei es leise raschelte, und inspizierte mit geschürzten Lippen das zweite. Dieses hier mochte er ganz und gar nicht. Hinter einer Darstellung der drei Objekte in kleinerem Maßstab, die mit Buntstift, Pastellkreide, Bleistift und Wasserfarben skizziert waren, füllte eine abgeflachte Kugel fast das ganze Blatt aus. Die Kugel war von tiefrotem Feuer umgeben, doch ihr Mittelpunkt mit einem schwarzen Wachsstift fett markiert. Wenn er die Zeichnung in einem bestimmten Winkel hielt, so dass sie kein Licht reflektierte, wurde das Zentrum der Kugel zu einem dunklen Auge, das anstelle von Lidern und Wimpern mit auflodernden kleinen Flammen umrandet war. Alles im Umfeld der Kugel – auch das Stück vom Himmel, das zu erkennen war – vermittelte die bestürzende Ansicht eines faulenden, zerfetzten Gewebes. Und diese Fantasie aus dunklen Farben und Texturen wurde durch