Die Stadt der Engel
Honda. Sie hatten noch Zeit, aber der Amerikaner wurde schon ungeduldig.
Endlich kam Malees Bruder. »Solly«, entschuldigte er sich. »Das Garagentor wurde gerade repariert, und ich mußte warten.«
Während der Fahrt streichelte Fred Malees Hand, wie immer überwältigt von diesem sanften, von innen heraus strahlenden Lächeln, das nicht nur die Freundin zeigte, sondern in diesem Land allgegenwärtig war, bei Mann und Frau, bei jung und alt, bei Ärger wie bei Freude. Zwanzig Arten dieses Lächelns sollte es – nur für Einheimische erkennbar – geben. Bei Mädchen wie Malee bedeutete es Zärtlichkeit und Hingabe. Aber mitunter versteckten sich dahinter auch Gewalt, Folter, Mord und Menschenhandel – ein großer Teil alles Heroins kam aus Thailand, und der Untergrund finanzierte damit die kommunistische Unterwanderung.
Predi fuhr geschickt und zielstrebig. In Rekordzeit erreichten sie den Airport. Während ihr Bruder sich um das Gepäck kümmerte, ging Malee mit ihrem Gast an die Bar. Predi gab den Koffer für Fred Miller am Abfertigungsschalter auf.
Major Vasatrana, ein früherer Kriminalbeamter, jetzt eine Koryphäe des Thai-Geheimdienstes, verfolgte den Vorgang, ohne selbst gesehen zu werden. Für einen Thailänder war der Mann mit dem glatten gescheitelten Haar ziemlich groß. Beamte wurden im ›Land der Freien‹ – und der Freier – so schlecht bezahlt, daß sie auf Nebeneinnahmen angewiesen waren. Die Korruption reichte bis in höchste Militär- und Regierungsstellen. Der Major bildete eine Ausnahme – durchaus nicht die einzige –; er stammte aus einer begüterten Familie und war Polizeioffizier aus Berufung gewesen; er liebte sein Land und haßte Bestechlichkeit und Vetternwirtschaft. Seine puritanische Auffassung machte ihm auch Feinde, die ihre Gefühle verbargen und auf eine Chance warteten, den Unbequemen loszuwerden. An seiner Integrität war nicht zu zweifeln, an seiner Fähigkeit auch nicht; und so war dieser Mann auf dem steilen Weg nach oben.
Major Vasatrana ließ den Koffer öffnen. Wie erwartet fand er eineinhalb Kilo des Heroins Nummer vier, der besten Sorte, die vorwiegend in die USA eingeschmuggelt wurde, während Nummer drei – von den Dealern abwertend ›brauner Zucker‹ oder Vogelfutter genannt, fast immer nach Europa ging, weil die Süchtigen dort offensichtlich noch nicht so verwöhnt waren wie die amerikanischen.
Der Major befahl, das Heroinpäckchen zu beschlagnahmen, den Koffer wieder zu schließen und an Bord des Jets zu bringen. Predi zu beschatten, brauchte er nicht anzuordnen; der Verdächtige stand seit Wochen unter Beobachtung und sollte zu dem Verteilernetz führen.
Vasatrana ließ sich mit der Kriminalpolizei in Hongkong verbinden und verlangte Kommissar Chung Wae, mit dem er schon öfter zusammengearbeitet hatte, um den Weg eines entschärften Koffers durch die Polizei verfolgen zu lassen. Kurze Zeit später erreichte den Major die Meldung aus Langley, daß die Operation ›Flashlight‹ angelaufen sei. Er war in Bangkok ein Hauptakteuer des waghalsigen Unternehmens, an dem er – eine Bedingung der Agency – ohne Wissen seiner Vorgesetzten teilnahm. Es war gefährlich für einen Karrieristen, doch es gab keinen anderen Weg.
Die Tristar nach Bangkok war der letzte Jet, der am Freitagabend in München-Riem abflog. Wenn er nicht in zehn Minuten in der Luft wäre, würde er vom Nachtstartverbot überrundet werden. An Bord herrschte noch immer nervöses Durcheinander. Die Chartermaschine war bis auf die Notplätze ausgebucht, und viele Passagiere mit Platzreservierungen im Heck waren auf der falschen Seite eingestiegen, so daß es in den Gängen zu Stauungen kam.
Der Mann mit der Narbe stand noch immer eingeklemmt neben Dany. Sie lotete ihn aus, ihrer Vision folgend, ohne daß er es bemerken konnte. Der Passagier mit dem entstellten Gesicht kämpfte um seinen Sitzplatz, den ein älteres Touristenpaar irrtümlich eingenommen hatte und hartnäckig verteidigte. Die ChefStewardess mußte eingreifen, um den mysteriösen Reisenden zu ihren reservierten Sesseln zu verhelfen.
Dany hatte ein fotografisches Gedächtnis. Sie verglich den Unbekannten mit Garellas Phantomzeichnung auf dem Bildschirm. Sie suchte und fand Abweichungen: Das Gesicht war nicht hautig, die Nase nicht so spitz, selbst das Kinn wirkte eher gemäßigt. Unübersehbar dagegen blieben die längliche Schädelform, die ungefähre Körpergröße und der auffallend lange Hals. Diese
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