Die Stadt der Engel
schützen sollten. Es war vielleicht eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme, aber nun schüttelte die junge Frau die lange Nacht ab und fühlte sich frisch. Sie fuhr beschwingt nach oben, voller Appetit auf ein amerikanisches Frühstück.
Ein ausgeruhter Larry erwartete sie. »Hier!« begrüßte er Dany. »Ich hab' uns einen Tisch am Fenster reserviert.«
Man saß wie in einer Aussichtskanzel mit weitem Blick über die Menam-Tiefebene, die man die ›Reisschale‹ nennt, und schwebte hoch über einer Stadt von faszinierender Häßlichkeit. Vom ›Summit‹ aus konnte man etwa vierhundert Buddha-Tempel, an die hundert Moscheen und fünfzig christliche Kirchen zusammenzählen. »Und dahinter«, erläuterte Larry, »das ist ein Hindu-Tempel, und in ihm hat neben den indischen Göttern Brahma, Vischnu und Shiva auch Buddha, der Erleuchtete, einen Stammplatz.«
»Offensichtlich vertragen sich orientalische Gottheiten besser als abendländische Eminenzen«, erwiderte Dany lachend. Das Lachen verging ihr schnell: Kalaschke und Frau Kim betraten den Raum. Im Vorbeigehen musterte das Narbengesicht Dany kurz mit den schmalen Augen hinter der getönten Brille. Er nickte ihr zu; es war eine knappe, konventionelle Geste, aber einen Moment witterte die Journalistin die Kälte, die an dem Mann hing, und sie fröstelte.
»War er das?« fragte Larry, unhörbar für die anderen.
»Vergiß es!« erwiderte Dany. »Vergiß es wirklich!«
Die ersten Pat-Pong-Pilger der vergangenen Nacht betraten den Breakfast-Room, unter ihnen Bruno, dem der Schlaf noch im Gesicht hing.
»Guten Morgen, Nuh!« begrüßte er Dany.
»Was heißt Nuh?«
»Mäuschen«, antwortete er. »Sei nicht so ungebildet, Dany. Ich könnte dich auch Muu nennen, das hieße dann Schweinchen. Es ist in Thailand ein Kosewort.«
»Zum Fressen«, erwiderte Dany. »Und wie lange dauerten deine Sprachstudien?«
»Sie sind zeitraubend und kostspielig, doch nicht ohne Reiz.« Brunos Augen suchten Brennhuber, den Baustoffhändler: »Der dicke Orchideenpflücker führt jetzt bei seinen Kumpanen den Spitznamen ›Wannen-König‹«, erläuterte er. »Wißt ihr, warum?« Die Schadenfreude lief ihm wie Sirup über das Gesicht. »Tiefschlag vor dem Höhepunkt: Als es im Lauen richtig wonnig werden sollte, ist der Mann, überwältigt von Suff und Müdigkeit, schlichtweg eingepennt.«
»Das ist ja eine jugendfreie Story«, lachte Larry.
»Manchmal sind diese Liebesjäger wirklich richtig komisch«, antwortete Bruno und wurde ernsthaft. »Zwei bis drei Millionen Touristen kommen alljährlich in dieses Land, in dem alles verboten und alles erlaubt ist. Drei von vier Besuchern gehören zu Adams Geschlecht.
Liebestourismus gibt es überall auf der Welt, aber man kann das hier nicht auf diesen Einheitsnenner bringen. Häufig verlaufen die Begegnungen zwischen den Farangs und den Thai-Mädchen jedenfalls anders, als es sonst üblich ist. Ich hab' dir übrigens alles ausführlich auf Band gesprochen«, unterbrach sich Bruno und überreichte Dany eine Kassette.
»Danke«, erwiderte die Journalistin.
»Weißt du übrigens, daß täglich in der Saison bis zu zwölf deutsche Touristen ihr exotisches Mädchen heiraten? Ich stelle gerade fest, wie viele Amerikaner, Australier, Japaner und Araber in die Legalität umsteigen.«
»Mit einer Dame aus dem Massagesalon?« fragte Dany belustigt.
»Auch«, antwortete Bruno. »Aber nicht immer.«
»Sexotik«, versetzte sie.
»Richtig«, bestätigte Bruno. »Und das mußt du dir vor Ort ansehen. Du mußt es erleben, und ganz nah ist ja noch nicht hautnah.«
»Vermutlich hat er recht, Dany«, bestätigte Larry.
»Alles zu seiner Zeit«, entgegnete sie.
»Wir passen schon auf dich auf«, versicherte Bruno. »Wir sind deine Paladine, selbstlos und nüchtern.«
Dany nickte, mehr nachdenklich als zustimmend; sie hatte ganz andere Sorgen.
»Ich kann auch nicht dauernd als Ersatzsünder für dich einspringen«, stellte der Rechercheur lachend fest. »Ich suche dir einen Salon aus, keinen vulgären, einen ganz feinen. Ich nehm' dir alles ab, du brauchst nur zu kommen, dich umzusehen und dann wieder zu gehen.«
»Und wir bleiben in deiner Nähe«, versprach Larry. »Wir sind zwei bewährte Bodyguards.«
»Vielleicht beuge ich mich bei Gelegenheit der Mehrheit«, versetzte Dany zerstreut. Sie sah zu Ferry Fenrich hinüber, der am Nebentisch Platz genommen hatte; er winkte ihr salopp zu, bevor er sich mit dem Ober unterhielt. Wieder fiel ihr auf,
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