Die Stadt der Engel
eine Art Elefantenkopf dar, dessen langer Rüssel tief nach Süden zeigt.
»Das ist schon Burma«, erklärte der Architekt und deutete nach rechts. »Über eine lange Strecke der Landenge verlaufen die Grenzen nebeneinander. Du kannst dir vorstellen, was da los ist. Trotz aller Gegensätze ist Thailand ein in sich geschlossenes Land mit endlosen Grenzen wie blutenden Wunden.«
»Jawohl, Herr Professor«, erwiderte die Reporterin. Er wollte ärgerlich werden, doch sie bat lächelnd: »Bitte weiter im Text, Ferry!«
»Erst 1916 verordnete Rama IV. seinen Untertanen einen Nachnamen«, fuhr der Thai-Kenner fort, »den sie auch heute noch kaum benutzen. Ein Jahr später wurde die Schulpflicht eingeführt, 1939 Siam in Thailand umbenannt. 1934 die Vielweiberei abgeschafft. Seitdem halten sich nur noch Begüterte eine Zweitfrau …«
»Das ist ja fast wie bei uns«, unterbrach ihn Dany lachend.
»Wenn du weitere Headlines brauchst«, fuhr Ferry fort: »König Chulalongkorn schickte im vorigen Jahrhundert 32 Söhne, die er von 92 Frauen hatte, zur Ausbildung nach Deutschland. In den dreißiger Jahren schaffte Thailands erste Ärztin – die sich ihr Studium in Paris durch Putzen verdient hatte und später in Berlin eine Schülerin Professor Sauerbruchs wurde – die Tätowierung ab, durch die bis dahin geschlechtskranke Mädchen, auch solche unter 14 Jahren, lebenslänglich abgestempelt worden waren. Die Familie erkannte der Medizinerin daraufhin den Namen ab, aber vom Königshaus erhielt sie dafür den Ehrentitel ›Khunying‹ verliehen, ›guter, geduldiger Arzt‹. 1946 wurde Rama VIII. der Bruder und Vorgänger des jetzigen Königs, in seinem Palast unter ungeklärten Umständen ermordet; 1948 der Opiumhandel verboten, 1958 kommunistische Aktivitäten unter Strafe gestellt und …«
»Pause, Ferry, bitte!« erwiderte Dany. »Entweder weißt du zuviel, oder mein Aufnahmevermögen ist zu gering.«
Die Stewardess servierte einen Imbiss. Zum Nachtisch offerierte sie Zeitungen. Dany griff nach der vorzüglich redigierten ›Bangkok Post‹, überflog die Schlagzeilen und stellte fest, daß sich die Lage an der kambodschanischen Grenze beruhigt, wenn auch nicht stabilisiert hatte – das geschähe voraussichtlich nie. Sie blätterte um, und da sah ihr einer entgegen, den sie kannte: Max Persulke, der Mädchenhändler. Daneben ein zweites Foto: Jessica Brown, eine hübsche Eurasierin, Mitarbeiterin der Redaktion und Verfasserin der Reportage.
»Hör dir das an, Ferry!« sagte Dany lachend und las vor:
»›So wie Sie gebaut sind‹, sagte er zu mir, ›schaffen Sie leicht tausend Dollar im Monat, vielleicht auch noch mehr, das hängt von Ihrem Fleiß und Ihrem Entgegenkommen ab.‹
Sein Englisch war unsauber, seine Absicht deutlich: Mr. Persulke wollte mich mit ein wenig Taschengeld über Colombo in Sri Lanka durch einen Verbindungsmann als Touristin mit einem erschlichenen Dreimonatsvisum nach Germany einschleusen. Dort sollte ich einen ›Künstlernamen‹ erhalten und in einem bordellartigen Betrieb verschwinden.
Der Mann, der diese Offerte machte, ein unangenehmer, schmieriger Typ, bat mich zwecks näherer Einweisung auf sein Hotelzimmer. Dort wurde er zudringlich und forderte einen Vorschuss auf künftige Dienstleistungen. Als er mich an sich reißen wollte, setzte ich ihn mit einem Karateschlag für eine Weile außer Gefecht, ließ ihn liegen und fuhr in die Redaktion, um meinen Bericht zu schreiben.«
Dany reichte Ferry die Zeitung.
»Wie gut bist du in Karate?« fragte er grinsend.
»Sieh dich vor!« warnte sie.
»Ich möchte mich dir nähern«, sagte er ernsthaft. »Aber ich will dich nicht nötigen.«
Pünktlich auf die Minute landete die Boeing auf dem erst vor kurzem erbauten Flughafen einer erst halb erschlossenen Insel, die über eine 200 Meter lange Brücke mit dem Festland verbunden ist. Sie stiegen in ein Taxi um. Die Anfahrt zum Paradies war mühsam und halsbrecherisch; sie führte vorbei an Kautschukplantagen, durch übervölkerte Dörfer, aber schließlich erreichten sie das Ziel und stiegen neben einem großen Geisterhäuschen aus. Es mußte ein guter Geist sein, der die Pansea-Bucht beherrschte, das merkten sie sofort. Sie folgten dem Boy über endlose Holztreppen. Wie Schwalbennester an die Hänge geklebt, standen inmitten tropisch wuchernder Vegetation die Bambushütten, gerade soweit auseinander, daß sich ihre Bewohner nicht störten. Die hübsche, voll der tropischen Landschaft
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