Die Stadt der Engel
zerstückelt wurden. Der Wagen lief unter Zulassung einer bei der US-Botschaft tätigen Diplomatin; es gab jedoch keinerlei Hinweise auf politische Hintergründe. Vermutlich war das Motiv zur Tat im privaten Bereich zu suchen.
Das hieß im Klartext: Eifersuchts-Tragödie. Von der Polizei in diese Richtung gelenkt, ließen die Zeitungen, je nach Seriosität, ihre Fantasie spielen. Die sanften, friedlichen Thais lieben auf der Leinwand ohnedies blutrünstige Melodramen; und so spielte man die verwegensten Handlungsversionen durch, die alle den von Paul Garella gewünschten Effekt hatten: vom tatsächlichen Hintergrund des Anschlags abzulenken.
Die Explosion am Siam Square wurde vergleichsweise klein abgehandelt: vermutlich ein Defekt in der Klimaanlage. Es war auch nicht von einem Toten, sondern nur von einigen Verletzten die Rede. Es fehlte jeglicher Hinweis darauf, daß die Parterrewohnung von einer Spezialabteilung des Thai Intelligence Service im Auftrag der Agency benutzt worden war.
Auch Major Vasatrana, der sich von dem Schock rasch erholt hatte, konnte mit der Berichterstattung zufrieden sein. Er hielt sich mit seinen Mitarbeitern wieder an seinem normalen Amtssitz auf. Er hatte eine Ringfahndung nach Garella ausgelöst, die bisher völlig ins Leere gelaufen war. Nach einem Gespräch mit Kripochef Vivikul war Vasatrana – ohne es zu äußern – zu der Überzeugung gekommen, daß Sullas Killer den Leiter der Operation ›Flashlight‹ ausgelöscht hatten. Der Major fürchtete nunmehr, selbst in größter Lebensgefahr zu schweben. Er ließ sich bei General Ragusat anmelden, um energische Gegenmaßnahmen auszulösen.
Während Europa eine neue Kältewelle drohte, erlebte Bangkok ein heißes Wochenende. Die Residenturen standen mit ihren Zentralen in Dauerverbindung. Im Pullacher Camp war die Meldung eingegangen, daß der CIA-Vize mit einer Militärmaschine nach Bangkok unterwegs sei. Die Mitarbeiter der Südostasienabteilung übernachteten in ihren Büros. Bei äußeren Minustemperaturen verwandelte sich ihre Dienststelle in ein Treibhaus.
Verschlüsselte Funkmeldungen und abhörsichere Telefongespräche jagten einander, nicht nur bei den westlichen Außenstellen, auch bei den östlichen: Man wußte, daß in der Sowjetbotschaft an der Sathorn Nua Road eine Art Alarmzustand ausgelöst worden war; die gleiche Feststellung galt für die burmesische, vietnamesische und laotische Vertretung, des gleichen für den UNESCO-Sitz an der äußeren Sukhumvit Road, den Major Vasatrana von jeher für eine Brutstätte der Spionage gehalten hatte.
Die Querverbindungen im Untergrunddschungel wurden eingeschaltet; die Kollaboration der Kontrahenten lief auf vollen Touren. Es war die Stunde der Doppelagenten, die nicht selten auch in höheren Rängen bewiesen, daß der Mensch zwei Schultern hat. Und über diese Kanäle verbreiteten sich an diesem Wochenende abenteuerliche Gerüchte und verwegene Spekulationen, Information wie Desinformation. Viele, die übers Wochenende aufs Land oder ans Meer fahren wollten, blieben in der berstenden Millionenmetropole, um im Katastrophenfall bereitzustehen.
Von der Spannung, die bleischwer über Bangkok lag, merkten die Touristen wenig. Sie zogen wie jeden Tag von einer Sightseeing-Station zur nächsten, vom Nationalmuseum zur Giant Swing, der stillgelegten großen Schaukel, durch den großen Königspalast, den ein skeptischer Reiseführer als das ›fernöstliche Neuschwanstein eines englischen Architekten‹ bezeichnet, in den Rosengarten oder zu den weißen Elefanten im Dusit-Thani-Zoo, die in Wirklichkeit nur graue Albinos waren und als Glücksbringer traditionsgemäß dem König gehörten. Andere Bangkok-Besucher trieben sich wie immer in den Anbahnungsdielen und den Massagepalästen oder Friseur-Läden herum, in denen man alles haben konnte – außer einem Haarschnitt oder einer Rasur. Sie schwitzten, feilschten, staunten, kauften, genossen und bezahlten.
Vermutlich der glücklichste von ihnen war Kaspar Saumweber, Friseurmeister aus Dingsbach bei Landshut, der ständige Begleiter Alipas, die keine Launen kannte, immer lächelte, immer anschmiegsam blieb und ihm niemals widersprach. Natürlich wußte er um ihr Vorleben, aber das war vergeben und vergessen. Jetzt hatte Alipa nur noch Augen für ihn, und das zählte. Das späte Glück machte den Meister der Schere zu einem Traumwandler. Der kleine, ein wenig schmerbäuchige Witwer wurde zum Galan, zum Liebhaber. Und zum
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