Die Stadt der gefallenen Engel
es dir?«
»Hallo, Mama. Alles okay.«
»Du klingst irgendwie komisch. Bist du krank?«
»Nein, nein. Ich war in der Stadt einkaufen. Jetzt bin ich müde und mir tun die Füße weh.«
»Was ist mit deinem Telefon? Ich habe versucht, dich anzurufen, aber irgendetwas scheint mit deinem Handy nicht zu stimmen.«
»Ist kaputtgegangen. Ich brauche ein neues, aber das hat Zeit, bis ich wieder daheim bin.«
»Wie gefällt dir Berlin?«
Lara ließ sich auf eine Treppenstufe sinken und lehnte sich mit dem Rücken gegen das Geländer.
»Ist schön hier.«
»Und?«
»Was und?«
»Sag schon, was machst du so?«
»Nicht viel. Ich gehe spazieren und lass mich von Oma dick und rund füttern.«
»Das ist alles? Unternimmst du sonst nichts? Berlin ist eine tolle Stadt mit unzähligen Möglichkeiten und du hockst zu Hause? Du solltest die Zeit genießen und etwas erleben.«
»Na ja, etwas Besonderes ist schon geschehen.«
»Was?« Die Stimme ihrer Mutter klang plötzlich heiser vor Aufregung. »Hast du jemanden kennengelernt? Leute in deinem Alter?«
»Na ja, nicht gerade in meinem Alter …«, versuchte Lara auszuweichen, entschied sich dann aber doch für die Wahrheit. »Er ist einundzwanzig und heißt Damian. Wir sind uns im Park begegnet.« Was für eine Untertreibung.
»Und wie sieht er aus?«
»Mama!«
»Du kennst mich. Ich bin neugierig.«
»Er ist etwas größer als ich, hat lange schwarze Haare und ein schmales Gesicht.« Lara merkte, wie sich ihre schlechte Laune verflüchtigte, als sie von Damian erzählte.
»Lange schwarze Haare?«, echote ihre Mutter. »Wer trägt denn heutzutage …«
»Mom, er sieht umwerfend aus«, lachte Lara ins Telefon hinein.
»Umwerfend«, klang es fröhlich zurück. »Das hört sich ja ganz gut an …«
»Sag es nicht. Dafür ist es noch zu früh.« Lara seufzte. »Aber er gefällt mir sehr und ich denke, er interessiert sich auch für mich. Heute Abend wollen wir zusammen weggehen.«
»Wohin?«
»In eine Szenekneipe. Soll anders sein als alles andere hier in Berlin.«
»Klingt aufregend.«
»Mal schauen, wie es wird.«
»Was macht Damian beruflich? Arbeitet er?«
»Nein, er studiert Geschichte. Übrigens an derselben Uni wie Opa.«
Plötzlich herrschte Stille am anderen Ende der Leitung. »Was sagst du da?«
»Nichts weiter, nur dass er an Großvaters ehemaliger Universität Geschichte studiert. Wieso fragst du so komisch?«
»Nichts. Es ist nichts«, versicherte ihre Mutter, doch ihre Stimme klang eigenartig. »Mich hat nur kurz der Umstand irritiert, dass es dasselbe Studienfach und dieselbe Universität sind. Kennt dein Großvater ihn?«
»Ich glaube, sie haben sich mal an der Uni gesehen, aber kennen ist zu viel gesagt.«
»Dann war er schon bei Opa und Oma zu Hause?«
Lara verdrehte genervt die Augen. »Ja, Damian bringt mich heim, wenn wir etwas unternommen haben. Was ist denn los mit dir? So kenne ich dich gar nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Na, dieses Getue und die vielen Fragen«, erwiderte Lara gereizt.
Die Stimme ihrer Mutter wurde streng. »Vergiss nicht, mit wem du sprichst, also spar dir deinen Tonfall.«
»Ja, ist ja schon gut«, murmelte Lara. »Sorry.«
Ein kurzes Zögern. »In Ordnung. Sind deine Großeltern da?«
»Nein. Oma ist einkaufen, du weißt ja, übermorgen hat Opa Geburtstag und sie will eine Party für ihn geben. Sollen sie dich anrufen?«
»Nein«, erwiderte ihre Mutter eine Spur zu hastig. »Ich gratuliere ja übermorgen, da kann ich mit ihnen reden.«
»Mama?«
»Ja?«
»Was ist eigentlich mit dir und deinen Eltern?«
»Wie meinst du das?«
»Ihr besucht euch niemals und sprecht auch sonst kaum ein Wort miteinander. Warum habt ihr so ein schlechtes Verhältnis zueinander? Und hör endlich auf, mir einreden zu wollen, alles sei in bester Ordnung.«
Eine längere Pause entstand, bevor Rachel sagte: »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll.«
»Sag es einfach.«
Ein Stöhnen erklang im Hörer. »Wenn es doch nur so einfach wäre.«
»Vielleicht ist es das auch!«, rief Lara ungeduldig aus. Sie hatte die ewigen Ausflüchte ihrer Mutter so satt. »Es geht mir tierisch auf die Nerven, nicht zu wissen, was zwischen euch steht«, schleuderte sie ihrer Mutter entgegen. »Und es tut mir weh, mit ansehen zu müssen, wie ihr euch ignoriert.«
Lara hörte, wie ihre Mutter tief Luft holte. »Du hast recht. Wir sollten über alles reden.«
Lara versuchte, sich zu entspannen. Sie lehnte ihren Kopf gegen das
Weitere Kostenlose Bücher