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Die Stadt der gefallenen Engel

Die Stadt der gefallenen Engel

Titel: Die Stadt der gefallenen Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rainer Wekwerth
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»Aber ich mag es nicht, wenn man durch mein Haus schleicht und an Türen lauscht. Außerdem haben dein Großvater und ich manchmal Dinge zu besprechen, die dich nichts angehen.«
    »Okay«, erwiderte Lara mit gelangweiltem Tonfall.
    »Okay? Ist das alles oder kannst du auch normal mit mir reden, ohne irgendwelche idiotischen amerikanischen Abkürzungen zu verwenden?«
    Himmel, war die sauer! Im ersten Moment fühlte sich Lara versucht nachzugeben, aber sie war sich keiner Schuld bewusst und sie verstand nicht, warum ihre Großmutter sich so aufregte.
    »Okay ist ein ganz normales Wort«, entgegnete sie wütend. »Tut mir leid, wenn du damit ein Problem hast, aber Jugendliche meines Alters benutzen es ständig. Es drückt Zustimmung aus. Nicht mehr und nicht weniger.«
    Das Gesicht ihrer Großmutter lief rot an. »So redest du nicht mit mir«, zischte sie. »So kannst du mit deiner Mutter sprechen, aber ich verlange etwas mehr Respekt.«
    Lara sprang auf. Der Teller klapperte und der letzte Rest Brot fiel zu Boden. »Und ich wünsche mir, dass man mich nicht wie ein kleines Kind behandelt. Ich bin keine fünf mehr. Und wenn ich höre, wie über mich gesprochen wird, dann ist es mein gutes Recht zu erfahren, was da gesprochen wird.«
    Martha stand ruhig da. Kein Muskel bewegte sich in ihrem Gesicht, als sie mit eiskalter Stimme sagte: »Du darfst jederzeit wissen, was über dich geredet wurde, aber dann kannst du ins Zimmer kommen oder uns fragen. Vor der Tür stehen und lauschen, so etwas tun kleine Kinder, also wundere dich nicht darüber, wenn man dich so behandelt.«
    »Ich …«
    »Nein, wenn du wie ein erwachsener Mensch behandelt werden willst, dann benimm dich auch entsprechend.« Sie drehte sich auf dem Absatz um. »Und damit ist das Thema für mich beendet. Gute Nacht.«
    Ohne ein weiteres Wort verließ sie die Küche. Lara kochte vor Wut. Der Hunger war verflogen. Sie stellte den Teller in die Spülmaschine und warf das restliche Brot in den Abfalleimer. Sie wollte gerade die Küche verlassen, als ihr Großvater eintrat.
    »Lara, bitte komm mal mit mir.«

25.
    Draußen vor dem Haus ließ sich ihr Großvater auf die oberste Stufe der Treppe sinken. Mit einer Handbewegung bedeutete er Lara, es ihm gleichzutun.
    Der Glockenschlag einer nahe gelegenen Kirche ertönte. Es war bereits ein Uhr. Der Himmel war wolkenverhangen, aber da und dort blitzten Sterne durch die grauen Schleier. Der Mond war nur zu erahnen. Ein leichter Wind strich durch die Bäume und ließ Lara frösteln. Sie rieb sich die nackten Arme. Das Licht der Flurbeleuchtung fiel auf ihr Gesicht.
    »Mir ist kalt. Außerdem ist es schon spät und ich bin müde.«
    »Es dauert nicht lange.« Die Augen des Professors lagen im Schatten der Höhlen, aber Lara hatte das Gefühl, dass er sie eindringlich anblickte.
    »Ich habe das Gespräch zwischen dir und deiner Großmutter gehört.«
    »Du meinst unseren Streit.«
    »Ja.«
    »Dann hast du gelauscht.« Sie lächelte bitter.
    »Ja, das habe ich wohl.« Er seufzte. »Aber darum geht es jetzt nicht.«
    »Worum geht es dann?«
    »Um Martha.«
    Wieder einmal, dachte Lara, verkniff sich aber eine Bemerkung.
    »Meine Frau ist krank.«
    Vier Worte. Nur vier Worte, aber so wie sie ausgesprochen wurden, drangen sie Lara durch Mark und Bein.
    »Was ist mit ihr?« Ihre Stimme zitterte, nicht nur wegen der nächtlichen Kälte.
    Sie konnte sein müdes Lächeln ahnen, als ihr Großvater sagte: »Sie war schon immer eine starke Frau. Sicher, sie sieht das anders, glaubt, ich wäre derjenige …« Seine Hand machte eine alles umfassende Bewegung. »… der das alles möglich gemacht hat. Aber in Wahrheit war sie es. Ohne deine Großmutter wäre ich verloren gewesen. Sie war mein Halt in einer Zeit, als es keinen Halt gab, als ich dabei war, mich in meinen Träumen zu verlieren.«
    »Ich weiß nicht, was du meinst.«
    »Das ist auch nicht wichtig. Glaub mir einfach, dass es so ist.«
    »Was hat Oma?«
    Er drehte den Kopf ein wenig zu ihr und das Licht des Flurs warf neue Schatten über sein Gesicht, aber vielleicht war es auch Trauer. Oder Hoffnungslosigkeit. Oder Resignation. Lara wusste es nicht, aber sie spürte, wie schwer ihm die nächsten Worte fielen.
    »Es ist ein Tumor. Ein Gehirntumor. Inoperabel. Man hat ihn vor drei Monaten festgestellt, weil deine Großmutter immer wieder über heftige Kopfschmerzen klagte.«
    Laras Atmung setzte aus. All die Wut, die bis eben noch in ihr getobt hatte, war wie weggeblasen.

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