Die Stadt der gefallenen Engel
Haare fielen locker auf die bloßen Schultern herab. Lara entdeckte ein winziges Tattoo, ein unbekanntes Symbol, am Halsansatz.
Marika stand neben Damian. Eine Hand hatte sie besitzergreifend auf seine Schulter gelegt. Die rot geschminkten Lippen waren zu einem Lächeln verzogen. Katzengrüne Augen blickten Lara neugierig an. Ein starker weiblicher Geruch strömte von ihr aus, ließ Lara schwindlig werden.
Wie aus weiter Ferne hörte sie Damians Stimme, aber sie verstand die Worte nicht, die er sprach. Ihre Augenlider fühlten sich plötzlich so schwer an. Irgendetwas geschah mit ihr.
Die roten Lippen der Frau formten sich zu Worten, die an Lara vorbeiglitten. Ihr wurde bewusst, dass sie jeden Augenblick ohnmächtig werden konnte.
Eine Hand mit zarten, perfekten Fingern wurde nach ihr ausgestreckt. Als sie Lara berührten, verflog jede Schwäche. Flammende Wut raste durch ihren Körper. Sie schüttelte den Kopf. Was war bloß los mit ihr?
Aber alles spielte sich in ihr selbst ab, niemand anderes schien etwas zu bemerken, denn Marika beugte sich zu Damian hinüber und küsste ihn auf die Wange.
Neben Damian tauchte Cara auf. Während Marika noch Damian küsste, umarmte auch sie ihn. Flüsterte ihm etwas ins Ohr. Marika musste die Worte gehört haben, denn sie löste sich von Damian und alle drei lachten auf.
Sie lachen über dich, wisperte die heisere Stimme der Eifersucht Lara zu. Sie amüsieren sich über dich.
Nein, schrie Lara innerlich auf. Das dürfen sie nicht.
Damian schien jetzt zu bemerken, dass etwas nicht mit ihr stimmte. Er schob Marika zur Seite und trat einen Schritt auf sie zu.
»Was ist mir dir?«, fragte er scheinbar besorgt.
Lara biss die Zähne zusammen, bis es knirschte.
Gleich wird er wieder so tun, als wärst du die Königin des Abends, flüsterte die Stimme. Aber die Nacht wird er mit ihnen verbringen.
»Ist irgendetwas?«, fragte er erneut.
Lara lächelte boshaft. »Ja«, sagte sie mit zusammengebissenen Zähnen. »Das!«
Dann schlug sie zu.
Ihre flache Hand klatschte in sein Gesicht und hinterließ ein feuerrotes Mal auf seiner Wange. Lara sah, wie Marika erschrocken die Luft einsog, aber sie rührte sich nicht. Die Unterhaltungen um sie herum stockten plötzlich. Neugierig wandten die Leute sich dem Geschehen zu. Alle schienen den Atem anzuhalten und gespannt darauf zu warten, was jetzt geschehen würde.
Damian selbst wirkte ganz ruhig. Fast schien es, als habe er eine derartige Reaktion von ihr erwartet. Als Lara in seine blaugrauen Augen sah, wurde ihr bewusst, was sie gerade getan hatte.
Sie hatte den Mann geschlagen, der sein Leben riskiert hatte, um sie vor einer Vergewaltigung zu bewahren. Sie hatte ihn vor all seinen Freunden und Bekannten geohrfeigt.
Und warum?
Aus Eifersucht. Aus dem Gefühl heraus, für ungenügend befunden werden zu können.
Dabei hatte er ihr nie etwas versprochen. Nie angedeutet, dass zwischen ihnen mehr als Freundschaft sein könnte.
Er hatte sie hierher gebracht, damit sie an einem außergewöhnlichen Erlebnis teilhaben konnte. Und wie hatte sie es ihm gedankt?
Sie hatte ihn geschlagen. Vor den Augen seiner Freunde. Als hätte irgendetwas in ihr die Macht übernommen. Etwas Unbändiges. Etwas Glühendes.
»Es … tut … mir … so … leid«, brach es aus ihr hervor.
Dann floh sie.
Hinaus in die Nacht.
35.
Lara rannte. Ohne sich umzusehen. Durch die Dunkelheit. Ihr Atem keuchte. Der Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, aber sie hielt nicht an, verlangsamte ihren Schritt nicht.
Bloß weg.
Was hatte sie getan?
Wie konnte sie sich nur so gehen lassen?
Ich habe ihn geschlagen. Oh Gott, lass das nicht wahr sein.
Aber es war so.
Seit sie in Berlin war, geschahen Dinge mit ihr, die sie nicht verstand. Alles veränderte sich und sie sich selbst am meisten. Manchmal hatte Lara das Gefühl, nur noch ein stiller Beobachter in ihrem eigenen Körper zu sein. Und sie schien dazu verdammt zu beobachten, wie jemand anderes die Kontrolle übernahm.
Eine andere Lara.
Eine Lara, die sie nicht kannte. Die sie nicht sein wollte.
Das Klatschen ihrer Schuhsohlen auf dem Asphalt war das einzige Geräusch, das sie begleitete. Es war eine trostlose Gegend, mit wenigen flachen Gebäuden auf großen Grundstücken, die allesamt von verblassten Firmenschildern verziert wurden. Autovermietungen, Transportunternehmen und Werkstätten wechselten einander ab.
Als Lara an einer Spedition vorbeikam, stürzte ein Hund aus den Schatten hervor. Es war ein
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