Die Stadt der Heiligen (German Edition)
Raum bis auf den Leichnam leer. Wo steckten Imela und Fita?
In ihrer Schlafkammer fand sie Reinold schließlich. Er lag bekleidet auf dem Bett und schlief. Dabei atmete er tief durch seinen geöffneten Mund. Als sich Marysa über ihn beugte, um ihn zu wecken, stieg ihr der Geruch von Bier in die Nase.
«Meister Reinold!» Sie rüttelte ihn an den Schultern. «Wacht auf. Es sind Männer vor der Tür, die Euch zu sprechen wünschen.»
Der Schreinbauer murmelte etwas Unverständliches, und Marysa schüttelte ihn erneut. «So wacht schon auf. Die Kanoniker und der Büttel sind da!»
«Mmmh. Was?» Nun schlug er endlich die Augen auf. «Wer ist da?»
«Die Kanoniker vom Marienstift und der Büttel des Vogtmeiers. Und einer der Schöffen auch, glaube ich. Sie verlangen Euch sofort zu sprechen.»
Reinold verzog verärgert das Gesicht und rappelte sich hoch. Stöhnend hielt er sich den Kopf und verlangte nach der Waschschüssel.
Marysa goss Wasser hinein und stellte sie auf einen Schemel neben dem Bett. «Warum habt Ihr so früh am Tag schon getrunken, Meister Reinold?»
Er wischte sich mit einem nassen Leintuch übers Gesicht. Bei ihrer Frage hob er ungehalten den Kopf. «Geh an deine Arbeit, Frau. Ich werde doch wohl trinken dürfen, wann es mir beliebt, oder?» Er ließ das Tuch achtlos zu Boden fallen und ging hinaus, um die Besucher zu empfangen.
Kopfschüttelnd hob Marysa den Lappen auf und hängte ihn zum Trocknen über die Fensterbrüstung. Veronika, die vor der Tür gewartet hatte, streckte aufgeregt den Kopf herein. «Da stimmt wirklich etwas nicht. Hörst du die lauten Stimmen?»
Marysa hob lauschend den Kopf, dann eilte sie, gefolgt von ihrer Schwägerin, zurück zur Haustür.
«Wollt Ihr etwa leugnen, dass Ihr gestern zur fraglichen Zeit auf dem Parvisch wart? Zwei unserer Kanoniker können bezeugen, dass sie sich mit Euch vor dem Domportal wegen der Verkaufsnischen besprochen haben.»
Reinold, inzwischen umringt von den Männern, blickte sich etwas verstört um. «Deshalb habe ich doch nichts mit dem Tod des Jungen zu tun. Was soll denn das?»
«Ihr wurdet dort gesehen, und dies», Scheiffart zog etwas aus dem Ärmel seines dunklen Mantels hervor, «wurde bei dem Toten gefunden.» Er hielt Reinold das Fundstück unter die Nase. Es war ein kleines Reliquiar mit winzigen Scharnieren zum Öffnen und einer Lederschnur, an der man es sich um den Hals hängen konnte. «Dies stammt aus Eurer Werkstatt, wenn ich mich nicht irre?» Scheiffarts Stimme klang grimmig.
Nun trat auch der in Schwarz gekleidete Mann vor und sprach: «Meister Markwardt, antwortet ihm. Ihr tut Euch keinen Gefallen, wenn Ihr Euch dumm stellt. Wir alle kennen die Arbeiten aus Eurer Werkstatt.»
Verunsichert nahm Reinold das Reliquiar in die Hand. «Sicher ist das eines von unseren. Warum sollte Klas es nicht bei sich getragen haben?»
«Wisst Ihr auch, was es enthält?» Scheiffart klappte das ovale Behältnis auf, und ein winziger Knochensplitter wurde sichtbar.
Reinold blickte verständnislos darauf. «Und?»
Scheiffart ließ das Knöchelchen aus dem Reliquiar auf seine Handfläche fallen. Ein kleines Stück Pergament kam hinterhergerutscht. «Wenn man dem Gebetszettelchen hier Glauben schenken darf, soll es sich bei der Reliquie um ein Fingerknöchelchen des heiligen Germanus handeln. Wir haben es untersucht und sind zu dem Schluss gekommen, dass es eine Fälschung ist.» Scheiffarts Stimme war immer lauter geworden; er musterte Reinold angewidert. «Das Knöchelchen eines Schweins, Meister Reinold! In einem Eurer Reliquiare.»
«Ich …» Reinold fasste sich an den sicherlich noch immer schmerzenden Kopf. «Ich verkaufe keine Fälschungen.»
«Das werden wir herausfinden», beschied ihn Scheiffart. «Bis Klarheit besteht und wir wissen, was Euer Geselle damit zu tun hatte, verlange ich Eure Festsetzung in der Acht.»
Marysa starrte den Kanoniker entsetzt an; Veronika stieß einen erstickten Laut aus.
«Das könnt Ihr nicht machen!», schimpfte Reinold, als der Büttel und seine Gehilfen ihm eiserne Handschellen anlegten. «Ich habe nichts getan, verdammt!»
«Wir werden die Sache aufklären», sagte nun auch der Schöffe, dem die Verhaftung sichtlich unangenehm war. «Doch es ist ein Mord geschehen, und das auch noch in unserem allerheiligsten Dom. Versteht bitte, dass wir so handeln müssen.» Er wandte sich an Marysa, die wie versteinert zusah, wie ihr Gemahl unter lautem Protest und gefolgt von einer erregten
Weitere Kostenlose Bücher