Die Stadt der Heiligen (German Edition)
sodass einige Leute neugierig stehen blieben und gafften.
«Ihr hattet kein Recht, mir meine Laute wegzunehmen!», schleuderte sie zurück, und zum ersten Mal erlebte Christophorus, wie die Fassade aus kühlem Gleichmut, die Marysa um sich errichtet hatte, zu bröckeln begann.
«Holt sie mir zurück!», forderte sie mit vor Wut zitternder Stimme.
«Nichts dergleichen werde ich tun. Das Klimperding hat mich schon lange aufgeregt. Und nun rein mit dir, oder muss ich nachhelfen?» Reinold fasste sie mit hartem Griff im Nacken und schob sie unsanft durch das Tor in den Hof, sodass nur noch ihre aufgebrachte Stimme zu hören war.
Christophorus knirschte mit den Zähnen. Was er da gesehen hatte, ging ihn nichts an, denn er kannte den Schreinbauer ja kaum. Reinold hatte als Ehemann das Recht, über Marysas Besitz zu verfügen und ihr Instrument fortzugeben, wenn ihm danach war. Doch Christophorus hatte von seinem Standort das Entsetzen und, da war er sich ganz sicher, auch Tränen in Marysas Augen gesehen. Dass Reinold davon unberührt blieb, sprach eine deutliche Sprache, was die Beziehung der beiden betraf.
Aber das ging ihn wirklich nichts an. Langsam ging Christophorus weiter in Richtung Marktplatz. Er würde zum Ordenshaus der Dominikaner gehen, die Ledertasche mit den Ablassbriefen holen und endlich wieder seinem Geschäft nachgehen. Entschlossen beschleunigte er seine Schritte. Dann blieb er plötzlich stehen, fluchte und machte auf dem Absatz kehrt.
16. Kapitel
G ozember!», wütete Jolánda, und sicher war es besser, dass Bardolf kein Ungarisch verstand. Dennoch ahnte er, dass er gerade ein höchst unschickliches Schimpfwort vernommen hatte. Und es folgten noch weitere, die Jolánda in einem Wortschwall ausspuckte und dabei wie eine Furie in der Stube ihrer Tochter auf und ab rannte. «Wie kann er es wagen! Zum Teufel mit ihm! Niemals hätte ich meine Zustimmung zu dieser Ehe geben dürfen!» Wieder verfiel sie ins Ungarische, diesmal, so argwöhnte Bardolf, handelte es sich um handfeste Flüche.
Marysa saß währenddessen mit gesenktem Kopf auf der Sitzbank und knetete den Zipfel ihrer Schürze. Reinold war, nachdem er so mir nichts, dir nichts ihre Laute fortgegeben hatte, mit ein paar übelgelaunten Befehlen an die Mägde zurück in die Schlafkammer gegangen, um sich fertig anzukleiden. Marysa hatte er einfach wortlos bei Jolánda und dem Goldschmied stehen lassen. Nun stand er in der Werkstatt und arbeitete, als sei niemals etwas vorgefallen.
Sie schämte sich unsäglich wegen seines Betragens, doch Jolánda bemerkte es kaum, da sie sich in einen ihrer Wutausbrüche hineingesteigert hatte, und Bardolf war zu sehr Ehrenmann, als dass er auch nur eine Silbe darüber hätte fallenlassen.
Inzwischen hatte sich Marysas erster Schreck gelegt, die Wut über die Ungerechtigkeit, mit der Reinold sie behandelt hatte, war jedoch geblieben und mischte sich mit einem Gefühl der Scham, da sie nichts gegen ihn hatte ausrichten können. Sie hätte sich die Laute einfach zurückholen müssen! Ihre Mutter hätte es getan, da war sich Marysa sicher. Doch nun war es zu spät.
Dennoch, der heiße kleine Ball in ihrer Magengrube regte sich wieder, wurde größer und größer und drückte ihr beinahe die Luft ab.
Bardolf war den beiden Frauen ins Haus gefolgt, da er sichergehen wollte, dass es keinen weiteren Zwischenfall gab. Außerdem, das gestand er sich ein, faszinierte ihn Jolándas Temperament. Er war sicher, hätte Marysa sie nicht davon abgehalten, dann hätte Jolánda ihren Schwiegersohn zur Rede gestellt und ihm all die Unfreundlichkeiten, die sie gerade ausstieß, mitten ins Gesicht geschrien. Sie kochte vor Wut, und er konnte sie gut verstehen. Noch nie hatte er einen derart herzlosen Mann gesehen. Kaum hatte Reinold Marysa die Laute weggenommen und dem Nächstbesten geschenkt, war er zum Alltagsgeschäft zurückgekehrt, hatte die Mägde, die neugierig herbeigeeilt waren, an ihre Arbeit verwiesen und getan, als sei nichts gewesen.
Die kurze Szene genügte Bardolf, um zu begreifen, dass diese Ehe ganz sicher nicht im Himmel geschlossen worden war. Und je länger er die tobende und Gift und Galle spuckende Jolánda beobachtete, desto deutlicher wurde ihm klar: Dies war die Frau, mit der er sein zukünftiges Leben verbringen wollte. Obgleich die Gefahr sicherlich groß war, dass auch ihn hin und wieder ihr Zorn und damit ein Schwall ungarischer Flüche oder sogar Schlimmeres treffen würde, wollte er das Wagnis
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