Die Stadt der Heiligen (German Edition)
jemand aus dem Marienstift für die gefälschten Reliquien verantwortlich ist.»
«Wie das?» Fulrad wirkte erstaunt.
Marysa nahm den Löffel wieder auf und spielte verlegen damit herum. «Er denkt, jemand wolle sich mit schlechtgefälschten Reliquien während der Heiltumsweisung bereichern. Und dieser Jemand, so glaubt er weiter, soll aus dem Marienstift stammen, weil … weil …»
«Das ist doch Unsinn, Marysa.» Fulrad schob die leere Schüssel von sich. «Warum sollten ausgerechnet die Domherren so etwas tun? Es stimmt schon, wir handeln mit Reliquien. Das weißt du ja am besten, denn es herrschte wohl immer ein gewisser Konkurrenzkampf zwischen deinem Vater und dem Stift. Johann Scheiffart hat mir davon erzählt; er führt dort den Reliquienhandel. Aber du kannst sicher sein, dass es sich dabei nur um echte Heiltümer handelt. Niemals würden wir die Menschen mit Fälschungen betrügen. Das wäre ja Blasphemie!»
«Ich weiß, ich weiß», stimmte Marysa ihm zu. «Aber Reinold ist fest davon überzeugt, dass einer der Kanoniker für die Fälschungen verantwortlich ist, die derzeit in Aachen kursieren. Und es müssen tatsächlich viele sein, Fulrad. Wir haben es zufällig herausgefunden – diese falschen Reliquien scheinen in großer Zahl unters Volk gebracht zu werden.»
«Im Augenblick sind Tausende von Pilgern in der Stadt, und auch sehr viele Kaufleute, darunter Reliquienhändler, treiben sich hier herum», gab Fulrad zu bedenken. «Ich könnte mir eher vorstellen, dass einer von ihnen der Übeltäter ist.»
«Das ist natürlich möglich. Aber sogar Bruder Christophorus meinte …»
«Bruder Christophorus?»
Marysa nickte. «Der Ablasshändler. Hast du schon von ihm gehört? Er ist auch Inquisitor und hat dem Marienstift seine Hilfe bei der Aufklärung des Mordes angeboten.»
«Natürlich habe ich von ihm gehört», bestätigte Fulrad. «Aber gesehen habe ich ihn noch nicht. Was hat er denn mit euch zu tun?»
Marysa blickte traurig auf die Tischplatte. «Er war ein Freund von Aldo und brachte uns die Nachricht von seinem Tod. Er meinte …» Sie hob den Kopf, als es leise an der Tür klopfte und Imela den Kopf hereinstreckte. «Herrin, die Frau Jolánda ist gerade gekommen und wünscht Euch zu sprechen. Ich hab ihr gesagt, dass Ihr Besuch habt, und sie meinte, Ihr sollt Euch Zeit lassen, sie wartet solange in der Küche.»
«Danke, Imela.» Marysa lächelte Fulrad an. «Du musst Mutter unbedingt begrüßen. Sie freut sich bestimmt, dich zu sehen.»
«Das mache ich gerne», stimmte Fulrad ihr zu. «Auch ist es jetzt an der Zeit, mich zu verabschieden. Es war sehr nett von dir, mich einzuladen.»
«Musst du wirklich schon gehen? Das ist schade. Du kommst aber bald mal wieder vorbei, ja?»
«Aber sicher, ich komme gerne.»
Marysa stand auf und geleitete ihn bis in die Werkstatt, wo er sich neugierig umsah. «Dein Gemahl ist ein geschickter Handwerker», sagte er. «Darf ich?» Er ging zu einem der Regale und nahm ein zweiflügliges Reliquiar herunter, das etwa doppelt so groß war wie eine Männerhand. Es hatte die Form eines kleinen Altars, und die Deckplatte war aufklappbar, um darunter ein Heiltum oder einen Gebetszettel aufzunehmen. «Sehr schön.» Bewundernd betrachtete Fulrad das hölzerne Kunstwerk. «Vielleicht lasse ich mir auch ein solches anfertigen. Ich besitze zwar keine Reliquien, aber allein der Anblick dieses Schreins kann ja der Andacht schon sehr förderlich sein.»
Marysa trat erfreut neben ihn. «Wenn du möchtest, bitte ich Reinold, dir so ein Reliquiar zu bauen. Aber ich würde es dir gerne schenken.»
«Nein, auf keinen Fall! Das geht doch nicht», wehrte Fulrad ab. «Das ist ein viel zu teures Geschenk. Ich werde es selbstverständlich bezahlen.»
«Wir werden sehen», sagte Marysa lächelnd. «Und nun warte bitte noch einen Augenblick. Ich möchte Mutter Bescheid sagen, dass du hier bist.»
20. Kapitel
M it einem skeptischen Blick zum Himmel trat Christophorus aus der Tür des Goldenen Ochsen , wo er sich eine gute Mahlzeit genehmigt hatte. Das Wirtshaus, eines der größten und besten von Aachen, lag am nördlichen Ende des Marktplatzes. Von seinem Standpunkt aus konnte Christophorus das Treiben zwischen den Marktbuden gut beobachten. Er überlegte, ob er zurück in die St. Jakobstraße gehen oder noch einen Gang Richtung Ponttor machen sollte. Es war gegen zwei Uhr nachmittags, doch die dunklen Regenwolken ließen alles ringsum so finster wirken, dass man meinte,
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