Die Stadt der Heiligen (German Edition)
bestätigte Christophorus. «Und sie ist kein Mädchen mehr. Sie ist eine verheiratete Frau; die Gemahlin eines angesehenen Schreinbauers.»
«Dann hast du deinen Weg also völlig umsonst gemacht, weil sie längst versorgt ist und deine Hilfe gar nicht braucht?»
«Nicht ganz.» Christophorus blickte nachdenklich in die Flammen. «Sie benötigt meinen Beistand gegen ihren Vetter nicht mehr, das ist richtig. Aber ich fürchte, sie steckt dennoch in Schwierigkeiten.»
«Große Schwierigkeiten?»
Christophorus hob die Schultern. «Sie könnten groß werden.»
«Oha.» Gizella kräuselte die Lippen. «Wirst du ihr helfen können?»
«Das weiß ich noch nicht. Ich versuche es.»
«Ist sie hübsch?», fragte Estella und hing erwartungsvoll an seinen Lippen.
«Nein», antwortete er. «Das heißt …»
«Was?» Nun hob auch Gizella neugierig die Brauen.
Christophorus schwieg einen Moment und rief sich Marysas Gesicht vor Augen, was ihm nur zu leicht gelang, da er sowieso den ganzen Abend schon über sie nachgedacht hatte. «Ich weiß es nicht», wich er aus.
«Warum nicht? Du hast doch Augen im Kopf», meinte Winand grinsend. «Oder trägt sie etwa ihr Gesicht verhüllt?»
«Nein, das tut sie selbstverständlich nicht», sagte Christophorus leicht gereizt. «Ich … habe einfach noch nicht darüber nachgedacht, ob ich sie hübsch finde.»
«Wie bitte? Ausgerechnet du?» Vico lachte dröhnend. «Der Mann, der innerhalb von wenigen Augenblicken die schönsten Mädchen im Umkreis von einer Meile nennen kann? Wenn du es darauf anlegen würdest, könntest du dich vor ihnen nicht retten, Mann!»
Grinsend ließ Christophorus diesen Seitenhieb und das Gelächter der anderen über sich ergehen. Vico hatte recht, auf der Reise von Santiago de Compostela bis hierher war es oft vorgekommen, dass Christophorus sich für seinen Ablasshandel die jungen hübschen Mädchen herausgesucht hatte. Und sehr oft war er damit erfolgreich gewesen, denn kaum eine der Jungfern hatte nicht etwas zu beichten und bereuen gehabt. Meist kleine Liebschaften oder heimliche Stelldicheins mit einem jungen Mann, der der Familie nicht passte. Doch angerührt hatte Christophorus nicht eine von ihnen, und seine Freunde wussten das. Immerhin hatte er seinen Ruf als Geistlicher zu wahren. Dennoch zogen sie ihn gerne damit auf.
Dass er bei Estella eine Ausnahme gemacht hatte, war ein offenes Geheimnis, über das nicht gesprochen wurde. Niemand machte ihm einen Vorwurf, und auch Estella wurde deshalb nicht gescholten. Das Leben auf der Straße war nun einmal anders, und solange die Grenzen der Schicklichkeit eingehalten wurden, durfte sich ein jeder aus der Gruppe gewisse Freiheiten herausnehmen.
«Also gut», lenkte Christophorus ein. «Mag sein, sie ist nicht hässlich. Aber was soll mir das? Ich bin schließlich hergekommen, um ihr beizustehen, und nicht, um sie zu bewundern.»
«Da hast du auch wieder recht», gab Estella zu. «Sie kann glücklich sein, dass du ihr hilfst.»
Christophorus schnaubte. «Das ist sie aber nicht. So, wie sie mir immer gegenübertritt, könnte man meinen, ich habe ihren Bruder auf dem Gewissen.»
Gizella kicherte. «Sie kann dich nicht ausstehen?»
«Ich denke, das beruht auf Gegenseitigkeit», antwortete Christophorus spröde.
Gizella lachte erneut, enthielt sich jedoch jedes weiteren Kommentars, als sie seine finstere Miene sah.
Estella sprang auf die Füße und hielt ihm ihre Hand hin. «Komm, lass uns ein Stück spazieren gehen. Dort drüben hinter den Hecken verläuft ein Bach, der an einer Stelle gestaut worden ist. Da kann man wunderbar baden.»
Christophorus ließ sich von ihr hochziehen und folgte ihr dann zögernd. «Ich glaube nicht, dass ich in der Stimmung für ein Bad bin», sagte er.
«Ich aber», antwortete sie und zwinkerte ihm zu. «Komm schon, sei nicht so lahm!» Sie ließ seine Hand los und rannte beschwingt voraus.
Als er die Stelle hinter dem Gebüsch erreicht hatte, war sie bereits aus ihrem Kleid geschlüpft und, nur mit einem kurzen ärmellosen Kittel bekleidet, in den Bach gestiegen.
«Komm!», lockte sie ihn. «Es ist herrlich!»
Christophorus seufzte. Eine Abkühlung konnte ihm bestimmt nicht schaden. Er legte seinen schwarzen Mantel und den Gürtel ab und zog sich Skapulier und Habit gleichzeitig über den Kopf. Dann ließ er sich neben Estella in die kleine Mulde hinter der niedrigen Staumauer aus Bruchsteinen gleiten.
Das kalte Wasser nahm ihm für einen Moment den Atem, doch
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