Die Stadt der Heiligen (German Edition)
Christophorus in die Stadt, nachdem eine weitere Münze den Besitzer gewechselt hatte.
In diesem Teil der Stadt kannte er sich noch nicht so gut aus, deshalb verlief er sich in der Dunkelheit zunächst in dem Gewirr von schmalen Gassen. Es war sehr ruhig ringsum. Zu dieser Stunde lagen die Einwohner in ihren Betten und schliefen. Selbst aus den Pilgerunterkünften drangen kaum noch Geräusche. Lediglich das Zirpen der Grillen und der Ruf eines Nachtvogels durchbrachen die Stille.
Irgendwann kam ihm die Umgebung wieder bekannt vor, offenbar hatte er den oberen Büchel erreicht. Er ging zügig die Straße entlang, blieb jedoch überrascht stehen, als er einen schwachen Lichtschein durch eines der oberen Fenster in Marysas Haus schimmern sah. War dort jetzt etwa noch jemand auf?
Er trat in den Schatten der gegenüberliegenden Häuserfront und näherte sich dem Haus, ohne ein Geräusch zu machen. Wieder blieb er stehen, denn er sah, dass Marysa dort oben am Fenster stand.
Sie verhielt sich vollkommen still, schien ihn also nicht zu bemerken. Irgendwo seitlich hinter ihr musste eine Kerze brennen, die einen flackernden Wechsel aus Licht und Schatten über die junge Frau wandern ließ.
Was tat Marysa da oben? Und warum schlief sie nicht schon längst? Christophorus betrachtete sie aufmerksam. Ihr Haar hing ihr in einem dicken langen Zopf über die linke Schulter; einige der rotbraunen Locken hatten sich jedoch gelöst und umtanzten ihr Gesicht. Ein Gesicht, das wie erstarrt schien.
Je länger er sie ansah, desto sicherer war er, dass etwas nicht stimmte. Er ließ seinen Blick von ihrem Gesicht über ihren Oberkörper wandern und merkte erst jetzt, dass sie nur ein dünnes ärmelloses Untergewand trug. Im flackernden Schein der Kerze zeichneten sich ihre Brüste deutlich unter dem feinen Leinen ab.
Christophorus ballte die Hände zu Fäusten und knirschte mit den Zähnen. Er schlug die Kapuze seines Mantels über den Kopf, trat geräuschvoll aus dem Schatten und lief, etwas vornübergebeugt, an Marysas Haus vorbei, ohne sie weiter zu beachten. Erst als er den Marktplatz erreicht hatte, verringerte er sein Tempo und richtete sich wieder auf.
Er musste nicht ganz bei Trost sein! Was war nur mit ihm los? Er ging wieder schneller und war froh, als er endlich das Haus seines Ordens erreicht hatte.
Er öffnete die kleine Hintertür, die er bei seinem Fortgehen unverschlossen zurückgelassen hatte, und schlüpfte leise in seine Kammer. Aufatmend tastete er sich zu der schmalen Pritsche, setzte sich darauf und schob seine Kapuze zurück. Bis zur Laudes war noch genügend Zeit.
Er entzündete in der Finsternis eine Talglampe und holte dann seine Tasche mit den Pergamentbögen hervor. Unter der Strohmatratze hatte er ein rechteckiges Päckchen verborgen. Auch dieses holte er hervor, klemmte es sich unter den Arm und ging dann, das Pergament in der einen, das Lämpchen in der anderen, lautlos hinüber in das Skriptorium.
Dort spitzte er mehrere Federkiele, füllte Tinte in ein Fässchen und begann mit seiner Arbeit.
Je länger er schrieb und je höher der Stapel fertig gestellter Urkunden wuchs, desto mehr wich seine innere Anspannung. Er musste sich konzentrieren, deshalb verdrängte er alle Gedanken an den vergangenen Abend und vor allem an den Anblick Marysas, wie sie so angespannt an diesem Fenster gestanden hatte.
Sie hatte verwundbar ausgesehen und … hübsch.
«Verflucht!» Christophorus starrte auf die gespaltene Spitze des Federkiels und den hässlichen Fleck, den die spritzende Tinte auf dem Pergament hinterlassen hatte.
Grimmig nahm er sich einen neuen Kiel, legte sich einen sauberen Pergamentbogen zurecht und begann von neuem.
Zwei Stunden später hatte er einen ansehnlichen Stapel Ablassbriefe fertig. Er entnahm dem Päckchen ein sorgsam eingewickeltes Siegel und Wachs und legte beides bereit. Dann fiel sein Blick auf einen weiteren Gegenstand. Vorsichtig nahm er ihn aus dem Päckchen und betrachtete ihn sinnierend. Es war der Abdruck eines Siegels.
Das Siegel des Priors der Aachener Dominikaner.
Mit einem Lächeln wickelte er den Abdruck wieder ein und machte sich dann daran, das Siegelwachs für die Ablassbriefe zu erhitzen.
27. Kapitel
M arysa erschrak und wich vom Fenster zurück, als sie plötzlich Schritte auf der Straße vernahm.
Ein Mann in einem dunklen Mantel eilte an ihrem Haus vorbei. Mit klopfendem Herzen blickte sie ihm nach und lauschte seinen Schritten, die sich rasch in der Ferne
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