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Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Die Stadt der Heiligen (German Edition)

Titel: Die Stadt der Heiligen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Petra Schier
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wurde. Doch beide Männer gehörten dem gleichen Orden an und hatten ganz sicher Verbindungen zum Marienstift. Vater Ignatius, weil die Domherren für die Besetzung der Pfarreien in und um Aachen zuständig waren, und Theophilus, weil er mindestens einem der Domherren als Reliquienhändler gedient hatte. Wenn man davon ausging, dass die falschen Reliquien nicht zum Wohle des Stiftes, sondern zur Bereicherung einer einzelnen Person oder kleinen Gruppe dienten, konnte man den Kanonikern sogar glauben, dass sie ihn nicht kannten.
    Allerdings hoffte Christophorus, dass er mit seinen Fragen in ein Wespennest gestochen hatte. Wenn unter den Männern, mit denen er gesprochen hatte, der fragliche Betrüger war, hatte er diesen nun vielleicht aufgescheucht.
    Dann würde sich dieser vielleicht bald zu erkennen geben – oder einen Fehler begehen.

33. Kapitel
    M arysa hatte mehrere gepolsterte Stühle aus der Stube heraufbringen lassen; auf einem von ihnen harrte sie nun schon seit vielen Stunden aus. Für ihre Schwiegereltern hatte sie ein Gästelager in einer der leer stehenden Kammern herrichten lassen, doch Gerharda hatte sich strikt geweigert, ihrem Sohn von der Seite zu weichen. Und so saßen auch sie und Enno am Krankenbett ihres Sohnes, waren inzwischen jedoch beide eingenickt. Enno schnarchte leise.
    Der Rest der Familie war am späten Abend nach Hause gegangen, und so herrschte im Haus nun eine trügerische Ruhe.
    Reinolds Atem ging flach und rasselnd. Er war noch nicht aus seiner Bewusstlosigkeit erwacht; der Kräutersud stand unangerührt neben dem Bett, an dessen Kopfende zwei dicke Kerzen brannten.
    Anfangs hatte Marysa ihrem Gemahl noch in regelmäßigen Abständen die Stirn mit kühlendem Wasser betupft, doch inzwischen saß sie nur noch reglos da und starrte ihn an. Sie verspürte weder Müdigkeit noch Angst oder Sorge. Sie fühlte gar nichts.
    Als die Nacht fast vorüber war und der Himmel von Schwarz zu einem dunklen Blau wechselte, wurden Reinolds Atemzüge immer qualvoller. Marysa stand nun doch auf, setzte sich auf den Bettrand und umfasste seine Hände. Sie spürte keinerlei Reaktion, nicht das leiseste Zucken. Seine Finger waren kalt, seine Gesichtsfarbe wirkte im flackernden Kerzenschein grau. Aus seinem Mundwinkel sickerte ein feines Rinnsal Blut. Die Kerzen, nun schon weit heruntergebrannt, flackerten unstet.
    Während die Morgendämmerung heraufzog und die Vögel im Kirschbaum ihr erstes Lied anstimmten, hob und senkte sich Reinolds Brustkorb ein letztes Mal.
    Ihr Herz begann heftig zu pochen. Minutenlang blickte sie wie betäubt auf ihren toten Gemahl herab. Schließlich ließ sie seine kalten Hände los und erhob sich. Leise ging sie zum Fenster und stieß die Läden auf, um es Reinolds Seele zu ermöglichen, auf direktem Wege zu den Engeln aufzufahren. Gierig atmete sie die frische Morgenluft ein.
    Reinold war tot! Während sie hinunter auf die Gasse blickte, überkam sie plötzlich ein heftiges Zittern. Sie hielt sich am Fensterrahmen fest und versuchte, sich auf ihren Atem zu konzentrieren. Das Blut rauschte in ihren Ohren. Er war tot; war … ermordet worden! Was sollte nun werden?
    Sie schloss für einen Moment die Augen und bemühte sich um Fassung. Dann trat sie neben den Stuhl, auf dem Gerharda noch immer fest schlief, und berührte sie sanft an der Schulter, um sie zu wecken.
***
    Erschöpft ließ sich Marysa auf eine der Bänke in der Stube sinken und stützte den Kopf in ihre Hände. Die Beerdigung und der anschließende Leichenschmaus hatten sie angestrengt. In ihren Ohren summte es von den vielen Beileidsbekundungen, und ihr Körper war ausgelaugt von der brütenden Hitze, die Aachen seit Tagen heimsuchte.
    Sie hörte die Stubentür gehen, rührte sich jedoch nicht, als ihre Mutter sich neben sie setzte und einen großen Krug Wasser auf den Tisch stellte.
    «Trink, mein Kind», forderte sie Marysa sanft auf.
    Marysa nickte, füllte sich ihren Becher schweigend bis zum Rand voll und stürzte das kühle Nass in einem Zug hinunter. Sie schenkte sich nach und trank noch einmal.
    Jolánda lächelte. «Gut so.» Sanft legte sie Marysa einen Arm um die Schultern. «Vater Ignatius hat eine sehr schöne Messe abgehalten, findest du nicht auch?»
    Marysa nickte wieder stumm und starrte auf die Tischplatte. Der Gemeindepfarrer war am Tage nach Reinolds Tod zurückgekehrt. Wie sich herausgestellt hatte, war er mit dem Medicus verwandt und hatte ihn auf dessen Krankenbesuch nach Kornelimünster

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