Die Stadt der Könige: Der geheime Schlüssel - Band 2 (kostenlos bis 14.07.2013) (German Edition)
sie sich ein. Eines Abends, sie war etwa zehn Jahre alt, eröffnete ihr der Vater, dass sie als Magd beim Priester arbeiten sollte.
Elfrieda war nicht glücklich darüber. In dem dunklen, muffigen Haus unter der strengen Leitung der Mamsell, fehlten ihr die Weite der Wiesen und die Gesellschaft der Schafe, die nun ihre jüngere Schwester hüten durfte.
Ihr Platz war in der Küche. Endlos erschien ihr die Zeit, die sie mit dem Schrubben der Böden, Töpfe und Schüsseln zubrachte. Dann erkrankte eines der Mädchen und Elfrieda wurde zur Hausarbeit herangezogen. Obwohl die Plackerei damit eine Stunde früher am Tag begann und sie abends erst später nach Hause gehen konnte, war es doch ein Aufstieg. Die Arbeit war abwechslungsreicher und an guten Tagen wurde sie damit betraut, die Studierstube zu reinigen.
Der Priester war kein ordentlicher Mann. Schriften und manchmal sogar Bücher lagen an allen möglichen Stellen im Raum herum. Erst merkte Elfrieda nur zufällig, dass sich die Zeichen zu Worten zusammensetzten. Mit der Zeit begann sie gezielt nach Worten zu suchen. Sie reihte sie aneinander und las Sätze und manchmal erkannte sie einige dieser Sätze sonntags in der Kirche wieder.
Es dauerte allerdings noch geraume Zeit, bis sie merkte, dass sie eine wichtige Fähigkeit erlernt hatte. Heimlich und wahllos las sie alles, was ihr in die Hände fiel und weil sie immer Gefahr lief, dabei erwischt zu werden, lernte sie schnell und flüssig zu lesen. Mit triumphierendem Lächeln wartete sie nun in der Kirche darauf, die Worte zu hören, die sie bereits kannte.
Elfrieda riss sich von ihren Gedanken los und steuerte den Raum an, in dem der Archiepiskopos seine Audienzen abhielt. Thronsaal - nannte sie ihn heimlich, denn der Heilige Vater hielt dort mehr oder weniger Hof. Von der Bescheidenheit und Demut, die ein Vertreter der Kirche an den Tag legen sollte, war nicht viel zu sehen.
Während ihrer Dienstzeit war der Raum mit Blattgold verziert worden. Die Fenster wurden mit teurem Buntglas ausgestattet und zeigten jetzt Szenen aus dem Heiligen Buch. Stein war Marmor gewichen und die ehemals zweckmäßige Einrichtung zu einer Ausstellung edler Hölzer und kunstvoller Schnitzereien geworden. Der Raum war zweifellos eine Pracht und in gewisser Weise freute sich Elfrieda, wenn sie ihn unbeobachtet betreten konnte und nicht nur nach Staub und Schmutz Ausschau halten musste. Trotzdem war es in ihren Augen nicht richtig, dass ein Mann der Kirche sich mit derartigem Luxus umgab.
Vor dem Haupteingang warteten einige uniformierte Männer. Sie beachteten Elfrieda nicht mehr als irgendeine Fliege. Sie ging an ihnen vorbei, in einen schmalen Nebengang und betrat eines der kleinen Zimmer, die von dem Thronsaal abgingen. Manche dieser Zimmer wurden zu vertraulichen Gesprächen benutzt. Andere hauptsächlich von den Dienstboten, denen es nicht gestattet war, durch das Hauptportal einzutreten.
Elfrieda öffnete die zweite Tür und stand nun hinter der Wandverkleidung des Audienzsaals. Der Riegel war vorgeschoben, aber sie hatte nicht die Absicht ihn zurückzuziehen.
Lauschen war ein hässliches Wort, für das, was Elfrieda im Sinne ihrer Sache machte und sie benutzte es nie. Der Schlüssel steckte innen in der Tür, so dass niemand sie überraschen konnte. Sie trat noch ein wenig näher an die Wandverkleidung und schob ein feines Holzplättchen zur Seite. Damit hatte sie freie Sicht auf die Stelle unterhalb des erhöhten Sitzes des Archiepiskopos.
Der kaltschnäuzige Schreiber und Vorzimmerdiener des Heiligen Vaters stand vor seinem Pult, die dunklen, stechenden Augen scheinbar auf das Pergament gerichtet. Elfrieda fröstelte regelmäßig, wenn sie ihn nur ansah. Aber sobald er zu sprechen anfing, war sie geneigt sich die Ohren zuzuhalten, denn seine Stimme war bar jeder menschlichen Regung, gleichmäßig und monoton.
Den Mann, der vor dem Archiepiskopos kniete, kannte sie nicht. Er war in graubraune Reisekleidung gehüllt und hielt einen breiten, dunklen Hut in den Händen.
„Was soll das heißen?“, knurrte der Archiepiskopos.
„Es sind nur Gerüchte, ehrwürdiger Vater, aber …“, antwortete der Mann.
„Ich will Tatsachen. Ich muss wissen, ob es wahr ist oder nicht“, unterbrach ihn der Heilige Vater. Dann wandte er sich an den Schreiber. „Was meint Ihr?“
Jedes Mal wenn er das tat, spürte Elfrieda, wie ihr das Entsetzen die Nackenhaare sträubte. Der Schreiber war im Laufe der letzten Jahre für seine Eminenz
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