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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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gefährden. Don Luis und die anderen verließen sich auf sie. Sie durfte sie nicht enttäuschen.

    Es war schon spät, fast Mitternacht, als sie sich endlich verabschiedeten. Der Wachshändler erbot sich, sie und Don Luis ein Stück zu begleiten, doch Griet lehnte dankend ab. Sie konnte es nicht erwarten, den aufdringlichen Mann loszuwerden, und erklärte, dass sie noch etwas mit ihrem Gastgeber zu besprechen hatten.
    «Mit wem?», lallte der Kaufmann begriffsstutzig. «Ach so, mit dem fetten Spanier, dem wir unser Wiedersehen nach all diesen Jahren verdanken. Ist der nicht schon längst schlafen gegangen?» Er kicherte boshaft. «Na, wenigstens hat er sich beim Wein nicht lumpen lassen.»
    Griet küsste den Anhänger um ihren Hals, als der Mann endlich von zweien seiner Knechte in eine Sänfte geschoben und heimwärts befördert wurde. Bevor er in der Dunkelheit verschwand, hörte sie noch, wie er sich geräuschvoll übergab und dann seinen Trägern vorwarf, sie seien zu schnell gelaufen. Griet drehte sich frierend und angewidert um. Vor der Tür bemerkte sie d’Anastro, der mit ausdrucksloser Miene zusah, wie auch die letzten seiner Gäste den Heimweg antraten. Keiner der Eingeladenen ließ ihn wissen, ob das Gastmahl in seinem Haus nach seinem Geschmack gewesen war oder nicht.
    «Denkt an unsere Übereinkunft», erinnerte Don Luis den Mann. Rasch fügte er noch ein paar Worte auf Spanisch hinzu, die d’Anastros Augen zum Funkeln brachten. Doch er lächelte, als er sich vor Griet verbeugte und ihr einen eisigen Kuss auf die Hand hauchte. «Keine Sorge, ich sagte doch schon, dass die Herrschaften sich auf mich verlassen können.»
    «Dem Mann steht die Mordgier offen ins Gesicht geschrieben», beklagte sich Griet, als sie kurz darauf an Don Luis’ Arm durch den frischgefallenen Schnee stapfte. Bis zum Gasthaus hatten sie noch einen weiten Weg vor sich.
    «Habt Ihr denn nicht bemerkt, mit welcher Genugtuung er heute Abend zugehört hat, als seine Gäste darüber sprachen, dass der Prinz von Oranien sterben müsse? Wie sicher er sich seiner Sache ist! Er glaubt, wenn es ihm gelingt, den Oranier zu ermorden, werden die Brüsseler Gilden ihn mit offenen Armen empfangen wie einen Kriegshelden.» Sie atmete tief durch, die eisige Luft brannte in ihren Lungen. «Er hat nicht vor, uns den Brandstifter auszuliefern. Seine Forderung nach den Papieren soll ihm die Zeit verschaffen, die er braucht, um seinen Gast zu warnen. Wir hätten uns unter einem Vorwand hinausschleichen und das Haus durchsuchen sollen.»
    Don Luis schüttelte den Kopf. «Das hätte d’Anastro niemals zugelassen, Griet. Er ließ uns den ganzen Abend keinen Moment aus den Augen. Außerdem wäre uns sein Gast bestimmt nicht freiwillig gefolgt. Nein, vertraut mir. Ihr werdet sehen, dass ich an alles gedacht habe.»
    Griet konnte nicht umhin, Don Luis für seine Ruhe zu bewundern. Er schien sich fest auf d’Anastro zu verlassen, doch der Kaufmann war kein Mann, der sich leicht überlisten ließ. Er hatte etwas vor, das stand fest. Unvermittelt blieb Griet stehen. War da nicht etwas gewesen? Das knirschende Geräusch von Stiefeln im Schnee? Sie starrte in die Dunkelheit, doch alles, was sie sah, waren Häuser, die sich gegenseitig fast erdrückten, so eng standen sie beisammen. Hinter einigen Fenstern brannten noch Lichter. Ihr Schein drang durch den seit Mittag anhaltenden Eisregen und verfing sich in den schneebedeckten Schindeln der Dächer.

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    Kapitel 28
    Oudenaarde, November 1582
    Als Beelken die Augen aufschlug, sah sie um sich herum nichts als Dunkelheit. Für einen schrecklichen Moment lang befürchtete sie, erblindet zu sein.
    Panik stieg in ihr auf, die Angst, in einem verschlossenen Sarkophag zu liegen. Zitternd streckte sie die Hand aus und zog sie gleich wieder verängstigt zurück, als ihre Fingerspitzen auf etwas Weiches trafen. Es vergingen einige Augenblicke, bis sie erkannte, dass es Basses Haarschopf war, den sie berührte. Der kleine Junge lag halb auf ihr und schlief. Sein Atem klang flach, aber doch so regelmäßig, dass Beelken etwas Mut schöpfte. Als ihre Augen allmählich die Finsternis durchdrangen, stieß sie auch auf die Umrisse von Sinters kräftigem Körper. Griets Vater lag nur wenige Schritte von ihr entfernt auf dem kahlen Boden. Zum Schutz vor der Kälte, die hier herrschte, hatte er sich in einige Decken und Felle gehüllt, die ihr Kerkermeister ihnen überlassen hatte. Sinters Brustkorb hob und

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