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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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einen Boten schicken oder darauf warten, bis wir sie Euch morgen zukommen lassen.»
    D’Anastro hob beschwichtigend die Hände. «Nur keine Eile, meine Liebe. Ich möchte, dass meine verehrten Gäste das Nachtmahl in meinem Haus genießen. Keinesfalls habe ich vor, sie mit solch unerfreulichen Angelegenheiten zu langweilen. Es genügt mir daher, wenn ich die Papiere morgen früh sehe. Dafür habt Ihr mein Wort, dass der Mann mein Haus nicht verlässt, bis die Sache geklärt ist.»
    Aus dem Flur vor der Tafelstube waren Stimmen zu hören. Die nächsten Gäste waren eingetroffen, ein Diener begleitete einen vornehm gekleideten Herrn und eine ältliche Dame in den Raum, die sich umsah, als befürchtete sie Ungeziefer im Haus des Spaniers. Zu Griets Überraschung handelte es sich bei dem Mann um den Grafen Beerenberg, welcher im Haus ihres Vaters residierte. Als der Graf sie erkannte, schürzte er irritiert die Lippen.
    «Ihr seid das? Euch hätte ich hier nicht erwartet.»
    Griet lag eine spitze Bemerkung auf der Zunge, die sie aber hinunterschluckte. Stattdessen nickte sie höflich. Dass Beerenbergs Manieren zu wünschen übrig ließen, hatte sie schon in seinem Haus bemerkt, doch die Art, wie er sie nun musterte, als habe er eine Magd vor sich, empfand sie als unverschämt. Dabei bot Griets Erscheinung nicht den geringsten Anlass zum Tadel. Ihr braunes Kleid mit schwarzem Gittermuster bestand aus bestem Tuch und ließ so viel Dekolleté frei, wie Griet es gerade noch verantworten konnte, ohne schamlos zu wirken. Ihre Schuhe hatten auf dem beschwerlichen Weg durch die winterlichen Ardennen gelitten, waren aber von Balthasar poliert worden, sodass das Leder frisch glänzte. Ihr rotes Haar saß unter einem Kopfputz aus Brüsseler Spitze, die sich bei jedem Schritt bewegte wie die Federn eines Sperlings. Obwohl Griet den Grafen artig begrüßt hatte, warf dieser d’Anastro einen verwirrten Blick zu, der von dem Kaufmann seinerseits mit einem gequälten Lächeln beantwortet wurde.
    «Don Luis de Reon ist ein Landsmann von mir, der im Dienst unseres verehrten Königs steht», beeilte sich d’Anastro, den Grafen aufzuklären. «Es ist mir eine Ehre, ihn heute Abend zu meinen Gästen zählen zu dürfen. Seine Begleiterin Señora Griet …»
    «Ich kenne die Dame», fiel ihm der Graf ins Wort. «Ihr Vater und ich hatten geschäftlich miteinander zu tun.» Er fixierte Griet wie eine Schlange. «Allerdings wusste ich noch nicht, dass sie sich zu den treuen Dienern des Königs rechnet. Wie man hört, haben sich die Ratsherren von Oudenaarde widerspenstig verhalten, als der Statthalter sie im Sommer zur Übergabe der Stadt aufforderte. Stolz und Hochmut haben ihnen das Genick gebrochen.» Er zog die Augenbrauen hoch. «Wie steht Ihr also zum neuen Statthalter, meine Liebe?»
    «Ich verdanke ihm das Privileg, als Frau meine Geschäfte selbständig führen zu dürfen», antwortete Griet, die allmählich wütend wurde. Was bildete sich dieser Graf eigentlich ein? Die Tatsache, dass ihr Vater sein Hab und Gut an ihn verloren hatte, gab ihm noch lange nicht das Recht, sie wie eine Verräterin zu behandeln. Ehe sie scharf antworten konnte, kündigte der Diener glücklicherweise weitere Gäste an, darunter den Zunftmeister der Brüsseler Zuckerbäcker, dessen massiger Körper wegen der Kälte in einem bodenlangen Mantel aus Bärenfell steckte; einen kahlköpfigen Kaufmann namens van Dongen, der mit Wachs und Öl reich geworden war. Wenig später stießen zwei Angehörige der Brüsseler Malergilde zu der Runde, deren Frauen keine zwei Minuten brauchten, bis sie zu streiten begannen. Ein würdig dreinschauender Ratspensionär, der Unmengen von Braten verschlang, und eine ganze Reihe von Zunft- und Gildemeistern mit ihren Ehefrauen, die sich vor allem aus Neugier eingefunden hatten, füllten die restlichen Plätze an der Tafel. In ihrer Mitte saß d’Anastro auf einem thronartigen Stuhl, dessen Rücken mit dem Fell eines Löwen bespannt war. Er hatte Kissen untergeschoben, um größer zu wirken.
    Griet, die am anderen Ende der Tafel neben Don Luis Platz genommen hatte, konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Ihr fiel auf, dass keiner der Brüsseler Patrizier mehr als ein paar höfliche Worte an ihn richtete. Die vornehmen Stadtoberen ließen sich den Wein und die Leckerbissen an seiner Tafel schmecken, behandelten d’Anastro jedoch wie Luft. Griet hingegen, deren Mädchenname wie ein Zauberwort wirkte, wurde häufig in Gespräche

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