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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Plan einzuzeichnen. Griet verstand nicht viel von der Kunst der Kartographie, stellte aber auf den ersten Blick fest, dass sie nie zuvor eine präzisere Arbeit gesehen hatte. Ohne jede Mühe fand sie sich auf der Karte der Begine zurecht, erkannte die großen Kaufmannshäuser rund um den Grote Markt, das Rathaus und die Kirchen. Der Fluss teilte die Stadt in zwei Hälften, wobei der Ort Pamele, jenseits des Ufers, nur durch den Turm der dortigen Kirche angedeutet wurde.
    «Eine schöne alte Stadtkarte», lobte auch Cäcilia. «Ich verstehe nur nicht, wie sie uns bei der Suche nach dem Kind helfen soll.»
    Uta ließ sich durch diesen Einwand nicht stören. Sie vertiefte sich in das brüchige Pergament. Mit dem Zeigefinger fuhr sie Linien nach und zog Kreise, als stellte sie im Geiste Berechnungen an. «Als mit dem Bau unseres Rathauses begonnen wurde, war ich noch ein kleines Mädchen, aber ich erinnere mich recht gut an diese Zeit und wie aufregend ich es fand, wenn ich an der Hand meines Vaters die Baustelle besuchen durfte. Der Baumeister, Hendrik van Pede aus Brüssel, wohnte im Haus meines Großvaters, und manchmal, wenn die Männer abends bei einem Becher Wein zusammensaßen, versteckte ich mich unter dem Tisch, weil ich ihren Gesprächen so gern zuhörte.»
    «Ja, und?» Cäcilias und Griets Blicke kreuzten sich. Worauf wollte die Begine hinaus?
    «Als die Kellergewölbe gebaut wurden, stellte der Baumeister fest, dass es dort unten Gänge aus früherer Zeit gibt, die sich in verschiedene Richtungen verzweigen und bis weit unter den Marktplatz reichen. Möglich, dass es sich dabei um uralte, vergessene Fluchtwege handelt. Hendrik van Pede fluchte, als er einige der Zugänge aushob. Verständlicherweise hatte er Angst um seine Fundamente und das Gewölbe des Rathauses. Deshalb befahl er, die Gänge, die er gefunden hatte, zuzuschaufeln. Begreift Ihr nun? Rink kann seine Gefangenen nicht aus der Stadt geschafft haben, ohne dass ihn jemand gesehen hat. Weder zu Fuß noch auf einem Wagen. Die Spanier oder unsere Stadtwachen hätten ihn am Tor kontrolliert. Wenn er sie aber dort unten in einem der Gänge versteckt hält, dann sind sie buchstäblich vom Erdboden verschluckt worden. Niemand wird sie dort suchen oder ihre Schreie hören. Diese Gefilde sind eine Welt unterhalb der unseren.»
    «Vielleicht habt Ihr recht», pflichtete Griet der alten Frau bei. «Ich habe nie etwas von Gängen gehört, die sich unter dem Rathaus verzweigen. Vermutlich wussten nicht einmal die Eltern meines Mannes davon, obwohl sie bis zu ihrem Umzug nach Antwerpen ihr ganzes Leben in Oudenaarde verbracht haben. Aber Ihr sagtet, der Baumeister habe sie damals zuschütten lassen.»
    «Wo es einen Anfang gibt, dort gibt es auch ein Ende.» Uta vertiefte sich erneut in ihre Karte. Diesmal nahm sie einen Zirkel und einen Kohlestift zur Hand, mit deren Hilfe sie den Plan mit einer verwirrenden Ansammlung von Kreisen und Linien versah. Einige Minuten lang schien sie völlig abwesend, dann blickte sie auf. «Meister Hendrik vermutete damals, dass die Gänge sich vom Mittelpunkt des Rathausplatzes aus wie die Strahlen einer Sonne verzweigen, aber stets geradlinig verlaufen. Schaut Euch die Karte an!»
    Griet, Cäcilia und Dotteres beugten sich über das Pult der Begine. Jetzt erkannten sie, was Uta sagen wollte. Die beiden Geraden, welche den Platz des Grote Markt wie einen Kuchen in vier gleiche Teile schnitten, kreuzten sich dort, wo der Marktbrunnen stand. Wenige Schritte davon entfernt erhob sich das Rathaus. Hier hatte der Baumeister den Zugang zu dem unterirdischen Gang zuschütten lassen. Das einzige größere Gebäude, das sich am Ende der westwärts verlaufenden Geraden befand, war die Sint-Walburgakerk. Aber es war unwahrscheinlich, dass Rink ausgerechnet dort nach einem Zugang zu den unterirdischen Gängen gesucht haben sollte. Er hätte befürchten müssen, von Pater Jakobus oder einem Mesner entdeckt zu werden. Ganz anders verhielt es sich mit der Geraden, die den Marktplatz in südlicher Richtung schnitt. Sie endete offensichtlich inmitten einer dichtbebauten Zeile verwinkelter Fachwerkhäuser, zu der auch das zweistöckige Gebäude gehörte, in dem sich Pieter Rinks Druckerei befand.
    Griet schlug sich mit einem spitzen Schrei die Handfläche gegen die Stirn. Sie erinnerte sich an ihren Besuch in diesem Haus und an das Geheimfach, das Rink ihr einmal gezeigt hatte. Im Keller der Druckerei musste es einen Zugang zu den unterirdischen

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