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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Ältere hätte den Mund gehalten. Immer wieder schrak auch sie zusammen, weil sie glaubte, eine leichte Erschütterung wahrzunehmen. Was wohl dort oben, über ihren Köpfen, vor sich ging. Befanden sie sich unter dem Marktplatz? Griet wusste es nicht. In ihrem Mieder steckte Utas Karte, aber die nützte ihr hier wenig.
    «Kopf runter», schrie Don Luis plötzlich. Griet gehorchte, ebenso Cäcilia, doch keiner von beiden gelang es, dem Schwarm von Fledermäusen auszuweichen, der mit dem Kopf nach unten hängend vor ihnen auftauchte, tief versunken im winterlichen Schlaf. Cäcilia hob die Hände und verzog voller Abscheu das Gesicht, als sie die erstarrten Tiere streifte.
    «Weiter», befahl Don Luis und zog Griet mit sich, die entsetzt und fasziniert zugleich die Kolonie der unheimlichen Tiere anstarrte.
    Sie hatten sich etwa eine halbe Stunde lang vorwärtsbewegt, als der Gang zum ersten Mal einen anderen Weg kreuzte. Dieser zweite Gang sah noch enger und dunkler aus als ihrer. Er schien wieder leicht anzusteigen. Griet holte nun doch Utas Plan hervor und hielt ihn so nah wie möglich an das Kerzenlicht.
    «Was meint ihr?», flüsterte Cäcilia. «Führt der Weg auf eine höhere Ebene, oder landen wir geradewegs in Rinks Druckerei, wenn wir ihm folgen?»
    Griet atmete heftig aus; ihr Hals brannte von dem Staub, den sie bereits geschluckt hatte. Im dünnen Schein der Kerze konnte sie erkennen, dass auch Don Luis skeptisch dreinblickte. Schließlich kamen sie überein, ihren Weg durch den ersten Gang fortzusetzen.
    Hier irgendwo, vielleicht ganz in der Nähe, war Basse. Griet spürte, wie ihr Arm wieder zuckte. Am liebsten hätte sie laut nach ihm gerufen, aber das traute sie sich nicht. Es wäre töricht gewesen, den Einsturz des gesamten Tunnelsystems zu riskieren.
    «Still, bitte!» Plötzlich legte Cäcilia einen Finger vor ihre Lippen. Ihre Augen verdrehten sich, als sie angestrengt lauschte. Griet runzelte die Stirn, denn sie hatte nichts gehört. Es sei denn …
    Doch, da war tatsächlich ein Geräusch. Es war dumpf, klang mal ganz weit weg, dann aber wieder nah, als schlüge jemand gegen das Gestein. Don Luis hörte es auch, wie seine Miene verriet.
    «Wir müssen umkehren», entschied er nach kurzem Überlegen. «Der andere Weg ist der richtige!»
    Mühsam tasteten sie sich wieder zurück durch die Finsternis. Sie fassten einander bei den Händen und gaben acht, nicht zu stolpern; immer häufiger lagen nun Kadaver von Fledermäusen auf dem Weg. Der üble Geruch der Verwesung wurde drückender.
    Der Gang endete schließlich jäh vor einer zerklüfteten Wand. Bei der näheren Untersuchung stellte sich jedoch heraus, dass der Felsen in der Höhe ihrer Knie einen weiteren Durchgang besaß. Der gesamte Komplex war durchlöchert.
    «Ob wir hier jemals wieder herauskommen?», murmelte Cäcilia. Seit sie hier unten waren, war sie ganz still geworden. Um ihre Tatkraft unter Beweis zu stellen, nahm sie ihr inzwischen vor Schmutz starrendes Gebände ab, das unter dem Hals zu straff gezogen war und sie am Atmen hinderte. Dann kniete sie sich hin und kroch als Erste durch den Spalt.
    Als Griet und Don Luis auf der anderen Seite der Felswand ankamen, fanden sie Cäcilia wie erstarrt vor. Sie befanden sich in einer Art Gewölberaum, der von Menschenhand geschaffen war. Das Mauerwerk, das teilweise aus Ziegelsteinen bestand und aus dessen Ritzen Sträucher wuchsen, erinnerte Griet an das große Stadttor. Bestimmt befanden sie sich unterhalb des Tores, eines Turms der Befestigungsanlage oder möglicherweise sogar jenseits der Stadtgrenzen. Die gewölbte Felsendecke war hoch genug, um aufrecht stehen zu können. Zu ihren Füßen lag alles Mögliche herum, Stricke, grobe Stalldecken und Ketten, abgenagte Hühnerknochen und verschrammte Becher aus Holz. Hier hatten Menschen gehaust … bis zu ihrem Tode.
    Cäcilia zeigte in einen dunklen Winkel, in dem sie die Körper dreier Gestalten fanden. Sie waren tot und schienen schon einige Wochen hier unten zu liegen. Die Leiber deuteten an, dass sie gewaltsam ums Leben gekommen waren.
    «Gift», verkündete Don Luis knapp, nachdem er einen der Trinkbecher aufgehoben und daran geschnuppert hatte. «Unser Freund scheint sich hier einiger seiner Mitwisser entledigt zu haben.»
    «Dann sind es nicht …»
    Don Luis schüttelte den Kopf und nahm Griet in den Arm. «Nein, es sind nicht dein Vater und der Junge.»
    Cäcilia schlug ein Kreuz und berührte das hölzerne Kruzifix an ihrer

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