Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
Vom Netzwerk:
und neun seiner Freunde tot sind. Na los, raus mit der Sprache.» Er schüttelte die Faust.
    Griet glaubte sich verhört zu haben. Meinte Adam wirklich sie? Sie klammerte sich mit Gewalt an ihren Messingbecher, trank aber keinen Schluck mehr. Was hatte das alles zu bedeuten? Sie befand sich doch im Haus ihrer Freunde und Nachbarn. Im Kreis der Menschen, denen sie vertraute, weil sie sie seit langer Zeit kannte. Viele von ihnen hatten zum Klang der Sackpfeife auf ihrer Hochzeit getanzt, mit Willem waren sie durch die Schenken gezogen. Warum ließen sie es zu, dass sie derart rüde bedrängt wurde? Nein, das war nicht recht. Die Spanier, die ihre Stadt besetzten, und der Statthalter Farnese waren die Feinde, vor denen sie sich hüten mussten. Aber doch nicht sie und das Haus Marx. Gegen solche Vorhaltungen musste sie sich wehren.
    «Vielleicht sucht Ihr Euren Grund einmal im Verhalten Eures Vaters», erwiderte sie. «Frans sagte mir, der Bürgermeister habe alle verraten, die das Bündnis mit Utrecht unterschrieben hatten.» Noch bevor sie ausgesprochen hatte, wurde ihr klar, dass sie einen schweren Fehler begangen hatte. Einen Fehler, der kaum wiedergutzumachen war. In der Stube wurde es still, sämtliche Gespräche verstummten. Als Griet den Kopf hob, blickte sie in Gesichter, die ihr mit Abscheu und Hass begegneten. Dies entging nicht einmal Hanna. Hastig stand die alte Frau auf und machte ein paar Schritte auf Griet zu, um dann abrupt stehenzubleiben. «Liebe Nachbarn …», fing sie an, sprach aber nicht weiter, denn niemand beachtete sie. Obwohl sie Frans Marx’ Frau war, schien es keinen der Anwesenden zu interessieren, was sie zu der Angelegenheit zu sagen hatte.
    Griet suchte nach einer Möglichkeit, den Weinbecher loszuwerden, fand aber keine. «Es tut mir leid», sagte sie. «Ich wollte Euch nicht verletzen, Coen. Euer Vater und der gesamte Rat haben für unsere Stadt getan, was sie für richtig hielten. Sie folgten ihrem Gewissen bis in den Tod. Wer bin ich, dass ich ihre Entscheidungen in Frage stellen dürfte?»
    Coen Osterlamm hob die Augenbrauen. «Ja, das ist die Frage, die sich momentan jeder hier stellt. Wer seid Ihr? Und welche Ziele verfolgt das Haus Marx in Oudenaarde?» Coen war unverändert gefasst; nicht einmal sein Lächeln war vollständig aus seinem Gesicht verschwunden. In seinen Augen entdeckte Griet jedoch eine erbarmungslose Härte, die ihr bislang nicht aufgefallen war. Seine Blicke wirkten wesentlich einschüchternder auf sie als Adams unbeherrschtes Geschrei. Aber auch Pamela, die wieder zu weinen angefangen hatte, ließ erkennen, dass sie Griets Bemerkung übel nahm.
    Griet stand auf; ihre Beine zitterten, und ihr tauber Arm wurde ihr so schwer, als zöge er sie zu Boden. «Ihr kennt mich doch seit Jahren», sagte sie verzweifelt. «Mein Mann war mit vielen von Euch gut befreundet.» Sie wandte sich an den Weinhändler, der betroffen die Schultern hob. «Ihr habt gewiss nicht vergessen, wie meine Familie Euch damals geholfen hat, als Euer Lagerschuppen hinter dem Haus der Sint-Jozef-Bruderschaft abbrannte. Es war so klirrend kalt, dass die Schelde am Dreikönigstag zufror. Mein Mann hat Eure Weinfässer mit seinem Gespann in die Teppichweberei gefahren und dort bis zum Frühling untergestellt. Es störte ihn nicht, dass dafür drei unserer besten Webstühle weichen mussten.»
    «Willem war ein guter Kerl», bestätigte de Lijs unumwunden. «Ich kannte ihn seit meiner Kindheit. Er hätte niemals mit den Spaniern krumme Geschäfte gemacht, dazu liebte er seine flämische Heimat viel zu sehr.» Verlegenheit färbte seine Wangen rot.
    «Wir dürfen uns nicht gegenseitig die Köpfe einschlagen», ergriff nun Pieter Rink das Wort. «Das würden wir bald bitter bereuen. Frans Marx saß noch im Rat, das ist wahr. Aber seid doch ehrlich, Freunde. Viel Einfluss hatte der alte Mann nicht mehr. Die Calvinisten regierten die Stadt mit der Bibel in der Hand, und Leute wie Marx zuckten mit den Achseln. Vielleicht ist das dem Statthalter zu Ohren gekommen. Er wird gewiss kein Mitglied des Hauses Marx mehr als Ratsherr von Oudenaarde dulden.»
    Coen schüttelte den Kopf. «Das genügt mir nicht, Meister Rink. Aber wenn Ihr und de Lijs der Meinung seid, dass damit alle Fragen beantwortet sind, will ich mich einstweilen damit zufriedengeben.»
    Griet legte ihren heilen Arm um die Schulter ihrer Schwiegermutter, die so durcheinander war, dass sie sich ohne Widerworte aus dem Raum begleiten ließ. Auf

Weitere Kostenlose Bücher