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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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huiskamer , einem geschäftlichen Unterredungen vorbehaltenen Raum, wo sich schon viele Familienmitglieder, Freunde und Nachbarn zur Totenwache eingefunden hatten. Nach den Anordnungen des Statthalters waren Zusammenkünfte dieser Art zwar streng verboten, doch keiner der Anwesenden schien sich darum zu kümmern. Nicht einmal Hanna Marx, die Griet erleichtert um den Hals fiel, um sie wenig später wegen ihres Leichtsinns mit bitteren Vorwürfen zu überschütten.
    «Ich hab’s doch gewusst, sie haben dich grün und blau geprügelt», zeterte die alte Frau, ohne sich um die Blicke der Umstehenden zu kümmern. «Hast du auch nur einmal an mich … ich meine an uns und an dein Kind gedacht? Nein, das hast du nicht. Ich sehe es dir an. Du benimmst dich unmöglich.» Hanna rang die Hände. «Kind, was ist denn nur los mit dir? Du hast deinen Mann verloren, du bist verwirrt. Wir alle trauern um Willem, nicht nur du. Ich auch. Aber wenn du dich weiterhin zu solchen gefährlichen Dummheiten hinreißen lässt, werde ich dir in Zukunft nicht mehr erlauben können, das Haus zu verlassen.»
    Wer, dachte Griet, hatte es sich denn in den Kopf gesetzt, die Angehörigen des Bürgermeisters ausgerechnet heute aufzusuchen? Wenn jemand die Augen vor der Wirklichkeit verschloss, dann Hanna und gewiss nicht sie. Zum Glück zog sich die alte Frau kurz darauf wieder in einen der mit Polsterbänken ausgestatteten Erker zurück, um mit einigen Nachbarinnen die Ereignisse des Vortags zu besprechen. Griet bekam derweil Gelegenheit, sich umzusehen.
    Die geräumige huiskamer entsprach in keiner Weise der strengen calvinistischen Lehre, die Sparsamkeit und Schlichtheit empfahl. Sie war verschwenderisch eingerichtet. Fünf Rundbogenfenster aus buntem Glas funkelten im Schein goldener Kerzenleuchter wie Kirchenfenster in der Weihnachtsnacht. An den Wänden hingen Ölgemälde in prachtvollen Rahmen, die so schwer waren, dass ein einzelner Mann sie kaum bewegen konnte. Einige der Teppiche vor dem Kamin kannte Griet, sie trugen das Webzeichen der Manufaktur Marx. Griet wollte sie gerade näher betrachten, als das Schluchzen einer Frau ihre Aufmerksamkeit erregte. Hinter einem golddurchwirkten Vorhang nahmen Adam Osterlamm und seine Schwester Pamela die Beileidsbekundungen zweier Männer entgegen. Der ältere von beiden bemühte sich um den jungen Mann. Er trug einen knielangen, mit Zobelstücken verbrämten Mantel und eine aus Pelz gearbeitete Mütze, die ihm ständig in die Stirn rutschte. Sein jüngerer Begleiter tätschelte derweil der Tochter des Verstorbenen mitfühlend die Hand. Es waren Jooris de Lijs, ein Weinhändler, der in der Nachbarschaft wohnte, und der Druckermeister Pieter Rink. Rink neigte höflich den Kopf, als seine und Griets Blicke sich kreuzten. Damit machte er Adam auf sie aufmerksam.
    Der junge Mann war blass. Seine teilnahmslos dreinblickenden Augen verschwanden fast in den Höhlen, während seine Nase scharf aus dem schmalen Gesicht hervorstach. Seine Vorliebe für teure Kleidung war stadtbekannt, doch er trug noch denselben einfachen Leinenkittel, in dem Griet ihn auch am Vortag auf dem Grote Markt gesehen hatte. Das Kleidungsstück war zerknittert, mit Ruß beschmiert und roch unangenehm nach Rauch. Zweifellos hatte Adam Osterlamm kein Auge zugemacht, seit er den Leichnam seines Vaters geborgen hatte.
    «Eure Schwiegermutter hat mir bereits berichtet, dass Ihr Euch auf dem Weg hierher in Gefahr begeben habt», sagte er, nachdem er Griets Gruß zurückhaltend erwidert hatte. «Das war unüberlegt. Die Spanier hätten Euch auf der Stelle mit ihren Lanzen durchbohren oder zumindest in eine Scheune schleppen und dort über Euch herfallen können. Glaubt Ihr, die stört Euer Witwenkleid? Ihr könnt froh sein, dass Ihr nur ein paar Ohrfeigen abbekommen habt.»
    «Lass es gut sein», fiel Adams Schwester ihm schluchzend ins Wort. Die junge Frau schenkte Griet einen warmherzigen Blick, in dem zumindest ein Hauch von Verständnis lag. «Beelken hat mir in der Küche erzählt, was vorgefallen ist. Die Witwe Marx hat sich mutig vor eine Krämerin gestellt, der zwei Söldner aufgelauert hatten.» Betrübt neigte sie den Kopf, während die Finger mechanisch über das Holz ihres Stuhls glitten. «Ich beneide Euch um Eure Tapferkeit, Griet. Wir sind alle wie gelähmt vor Angst. Wir wissen nicht, wie es weitergehen soll, nun, da wir in Ungnade gefallen sind. Der neue Statthalter wird uns alles wegnehmen. Das Hab und Gut eines Rebellen

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