Die Stadt der schwarzen Schwestern
am dringendsten benötigen, ist ein Gefühl von Sicherheit. Und diese Sicherheit werde ich ihnen verschaffen.»
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Kapitel 8
Pater Jakobus war gerade beim Mittagessen, als Don Luis in die Stube platzte. Wehmütig blickte der alte Priester auf die herzhafte Fleischsuppe mit Graupen, die ihm seine Bedienstete gekocht hatte, bevor er die Schüssel zur Seite schob und den jungen Spanier einlud, bei ihm am Tisch Platz zu nehmen.
«Ich wollte Euch keineswegs beim Essen stören, Pater», sagte Don Luis. Ungeduldig beugte er sich vor. «Esst doch bitte weiter. Riecht verdammt gut, Euer Süppchen. Aber bemüht Euch nicht, ich würde heute keinen Bissen anrühren. Ich lag die halbe Nacht wach und habe gegrübelt.» Er stand auf und begann in der Stube umherzugehen. «Nun esst doch weiter! Ich kann wirklich warten, bis Ihr fertig seid. Tut so, als wäre ich gar nicht da.»
Pater Jakobus seufzte. Die Hektik, die der junge Mann mitbrachte, verdarb ihm nicht nur den Appetit auf Fleischsuppe, sondern verriet ihm auch, dass Don Luis eben nicht warten konnte. Warten musste also nur sein knurrender Magen. Bestimmt ließ sich die Suppe aufwärmen. Er würde seine Magd darum bitten, sobald er Don Luis losgeworden war.
«Was liegt Euch auf der Seele, mein Freund?» Er winkte Don Luis an den Tisch zurück. «Ist es schon wieder diese Griet Marx, die Euch den Schlaf raubt?» Er lächelte. «Wie ich hörte, redet man in der Stadt nicht gerade schmeichelhaft über sie und ihre Familie. Euer Plan scheint aufzugehen.»
«Hm, scheint so.» Zum Verdruss des Priesters begann Don Luis an der Schüssel mit Fleischsuppe zu schnuppern.
«Wollt Ihr nicht vielleicht doch …»
«Nein, bemüht Euch nicht, Pater.» Don Luis atmete geräuschvoll aus. «Der alte Marx wird mit seinem ganzen Weberanhang die Stadt verlassen, noch diese Woche. Unser Herzog hat ihm Passierscheine nach Namur ausgestellt, doch ich bezweifle stark, dass er dorthin gehen wird. Vermutlich will er nach Antwerpen, zu den Aufständischen.»
Pater Jakobus verzog das Gesicht. «Nun, dort könnt Ihr sie wohl kaum noch im Auge behalten. Aber vielleicht ist das dann auch gar nicht mehr nötig. Ihr wolltet, dass sie aus Oudenaarde verschwinden, und das habt Ihr erreicht. Gratuliere! Wenngleich die Wahl Eurer Mittel nicht ganz ehrenhaft war, spricht der Erfolg für sich.»
Pater Jakobus stand auf, um Holz nachzulegen. Seit dem Wochenende war das heitere, sonnige Herbstwetter einer unangenehmen, vorwinterlichen Kälte gewichen, die mit Wind und Regen in die Knochen der Menschen kroch. Pater Jakobus hauchte sich in die Hände. «Ihr wollt mir doch nicht weismachen, dass Euch Gewissensbisse plagen.»
Don Luis funkelte den Priester an. «Ich habe getan, was ich für richtig hielt. Aber wie es aussieht, war das noch nicht genug. Griet Marx denkt nämlich gar nicht daran, die Stadt zu verlassen. Sie wird hierbleiben, gemeinsam mit ihrem Sohn.»
Pater Jakobus pfiff durch die Zähne. «Alle Achtung, das habe ich nicht erwartet.» Plötzlich begann er schallend zu lachen. Sein Oberkörper bebte so heftig, dass er sich an einem Wandregal mit Büchern festhalten musste.
«Verratet Ihr mir, was daran so komisch sein soll?», fragte Don Luis irritiert. «Mein schöner Plan sah vor, dass die Familie Oudenaarde verlässt, wobei es mir doch gar nicht so sehr auf den alten Weber und sein Weib ankam, sondern auf Griet Marx und ihr Kind. Was habe ich mit meinen Bemühungen erreicht? Ich habe die Frau kopfüber in eine Löwengrube geworfen, in der sie sich aber offensichtlich wohl genug fühlt, um den Löwen Äpfel und Birnen zu verkaufen.» Er seufzte. «Falls ihre Nachbarn sie nicht demnächst erschlagen sollten, wird sie etwas Dummes anstellen, das spüre ich wie Ihr Eure morschen Knochen. Das bedeutet, dass ich hier in Oudenaarde bleiben und für diese verrückte Person das Kindermädchen spielen muss.»
«Verzeiht einem alten Kauz seine Begriffsstutzigkeit, mein Junge», erwiderte der Pater. «Aber ich fürchte, nun kann ich Euch nicht mehr folgen. Wieso, bei allen Heiligen, ist die Frau so versessen darauf, in der Stadt zu bleiben, wenn ihr doch niemand mehr über den Weg traut?»
Don Luis zuckte mit den Schultern. Diese Frage hatte auch er sich mehr als einmal gestellt. «Nun, sie hat es sich in den Kopf gesetzt, künftig von der Familie ihres verstorbenen Mannes unabhängig zu leben. Davon abgesehen ist sie besessen von dem Wunsch, das Vertrauen ihrer Nachbarn
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