Die Stadt der schwarzen Schwestern
Haus jedes Mal von neuem aufgebaut und sind weiterhin ins Liebfrauenspital gegangen, um Kranke zu pflegen. Bis vor etwa vier Jahren, da verließen sie bei Nacht und Nebel die Stadt. Sie gingen nach Brüssel, wie es hieß. Sonderbar war das, denn niemand hat gesehen, wie sie fortgingen. Sie waren einfach nicht mehr da. Mehr kann ich Euch nicht sagen. Sie zogen mir einen anderen Beichtvater vor. Pater Andreas von St. Pamele, der aber starb letzten Winter.»
Don Luis hörte dem alten Mann aufmerksam zu. Er wusste nicht, ob die Neuigkeiten seinen Plänen dienlich sein konnten. Er nahm sich vor, einen Boten mit Briefen nach Brüssel zu schicken, sobald der Statthalter ihm etwas Ruhe gönnte. Zunächst aber musste er in die Wijngaardstraat, wo Griet Marx bestimmt schon auf das vom Statthalter unterzeichnete Privileg wartete. Es würde ihm nichts anderes übrig bleiben, als es ihr auszuhändigen.
Ein eigenartiges Gefühl überfiel Griet, als sie das Haus der schwarzen Schwestern vor sich sah. Anstatt sogleich das Haupttor aufzusperren, blieb sie in einiger Entfernung stehen und ließ ihre Blicke über das alte Bauwerk am Ende des Wegs schweifen. Wie oft war sie auf ihrem Weg durch die Stadt hier vorbeigelaufen, ohne Notiz von dem Haus zu nehmen.
Ein untersetzter Turm mit einem Kreuz auf dem Dach, hohe Mauern und ein von Hecken umgebener Garten, über dem der sanfte Duft von Gewürzkräutern schwebte, verliehen dem heruntergekommenen Anwesen einen Hauch klösterlicher Anmut, ansonsten unterschied es sich jedoch kaum von den übrigen Gebäuden in der Gasse. Vor langer Zeit war das Haus zur Straße hin weiß gekalkt worden, inzwischen bröckelte der Putz an allen Ecken. Ein wenig abseits, nahe dem Tor, stieß Griet auf ein hübsches Pförtnerhäuschen, das hinter einer Brombeerhecke fast vollkommen verschwunden war. Anders als das düstere Hauptgebäude wirkte dieses Häuschen auf Griet so einladend, dass sie ihre Schritte spontan zu seiner Pforte lenkte. Sie stellte sich auf die Zehenspitzen und spähte durch eines der Fenster. Der Raum dahinter, von dem eine Tür in einen weiteren abging, sah groß genug aus, um es sich fürs Erste darin gemütlich zu machen. Vermutlich würden sie und Basse sich hier wohler fühlen als drüben im Kloster mit seinen leeren Zellen. Viele Möbel besaßen sie ohnehin nicht, da Frans und Hanna ihr Haus mitsamt Inventar an die Osterlamms verkauft hatten. Wie Griet gehört hatte, trug sich ausgerechnet Adam mit dem Gedanken, in das Anwesen der Familie Marx zu ziehen. Dies konnte ihr zwar egal sein, doch angesichts des feindseligen Verhaltens, das der Bürgermeistersohn ihr gegenüber an den Tag legte, versetzte ihr der Gedanke, Adam könnte sich mit seinen Gespielinnen in ihrem alten Ehebett wälzen, einen Stich in die Brust.
Griet zückte den langen, schwarzen Schlüssel und ging die paar Schritte über den Hof zum eigentlichen Klostergebäude. Der Eindruck der Verwahrlosung verstärkte sich auf der Schwelle des von zwei Säulen getragenen Portals. Sie fand weder Klingelzug noch einen Klopfer, dafür eine steinerne Heiligenfigur, die in einer Nische im Mauerwerk stand. Der Statue fehlten Kopf und beide Arme. Offensichtlich war sie während des Bildersturms beschädigt worden. Griet versuchte, den bedrückenden Gedanken an tobende Eiferer zu verscheuchen, die schreiend durch die hallenden Gänge des Klosters rannten und alles kurz und klein schlugen, was sie an den alten Glauben erinnerte. Doch als sie in die schattige Halle trat und sich umsah, wurden diese Bilder in ihrem Kopf nur noch schärfer. Mit klopfendem Herzen lief sie von Raum zu Raum und fühlte sich dabei wie ein Eindringling. Die meisten Zimmer waren kaum größer als Kammern und wirkten trotz ihrer niedrigen, rußgeschwärzten Balken und den Holzdielen auf dem Fußboden so kalt, dass Griet fröstelte. Als Lichtblick empfand sie die geräumige Küche mit ihrem Kamin, über dem noch zerbeulte Pfannen, Schöpflöffel, Bratspieße und Kessel an Haken hingen. Im Kapitelsaal der schwarzen Schwestern verdüsterte sich ihre Stimmung jedoch sogleich wieder. Hier spürte sie förmlich, wie ihre Atemzüge von den hohen Wänden widerhallten. Eine abweisendere Halle hatte sie nie zuvor betreten. Sie konnte sich vorstellen, warum die schwarzen Schwestern ihr Bündel geschnürt und das Weite gesucht hatten.
Nachdem sie das Kloster wieder verlassen hatte, atmete sie tief durch, um die Schatten zu vertreiben, die sich ihr plötzlich aufs
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