Die Stadt der schwarzen Schwestern
Sie sah zu, wie die beiden Männer anstießen und ihre Becher leerten, nahm selber aber keinen Schluck. Sie brauchte einen kühlen Kopf. «Deshalb bin ich gekommen. Ich bin bereit, Euch die Alexanderteppiche zu verkaufen, weil ich gemerkt habe, dass sie Euch etwas bedeuten.»
Farnese warf Don Luis einen Blick zu, in dem sich Triumph und Überraschung paarten. Der junge Spanier hob abwehrend die Hand. «Bevor Ihr sagt, dass Ihr es gleich gewusst habt, würde ich gerne wissen, wie es zu dem plötzlichen Sinneswandel der Teppichwirkerin kommt und was sie für die Wandbehänge haben will.»
«Ach was, sie ist eine junge Frau, und Frauen ändern häufig ihre Meinung. Ich werde ihren Sinneswandel auf jeden Fall großzügig belohnen. Holt meine Kasse aus der Truhe!»
Griet schüttelte den Kopf. «Bemüht Euch nicht, Herr», sagte sie. «Euer Geld will ich nicht.»
«Was denn sonst?» Der Statthalter warf ihr einen argwöhnischen Blick zu.
«Noch gestern war ich der Ansicht, ich könnte mich niemals von diesen kostbaren Stücken trennen. Seither habe ich viel nachgedacht.» Griet nahm nun doch einen Schluck Wein, denn ihr Mund fühlte sich so trocken an, dass sie befürchtete, ihre Stimme könnte beim Sprechen versagen. Dann fuhr sie fort. «Ich habe eingesehen, dass es etwas gibt, was mir wichtiger ist als einige Bahnen feingewebten Tuches, nämlich die Aussicht auf eine Zukunft für mich und mein unmündiges Kind. Die Eltern meines verstorbenen Gemahls haben vor, die Stadt zu verlassen. Ich möchte, dass Ihr ihnen für den ersten Teppich, den ich Euch gebe, freies Geleit aus der Stadt zusichert. Für Marx, seine Frau und alle Weber, die sie begleiten wollen. Meine Angehörigen sollen am Stadttor weder aufgehalten noch ihrer Habe beraubt werden.»
«Weiter!» Farneses Miene verriet nicht, was er von Griets Forderung hielt.
«Den zweiten Teppich tausche ich gegen eine Unterkunft, denn ich habe vor, in Oudenaarde zu bleiben. Ich bin nicht anspruchsvoll, es muss nichts Großartiges sein.»
«Warum bleibt Ihr nicht einfach im Haus der Familie Marx?», wollte Don Luis wissen. «Es steht doch leer, wenn sie fortgehen.»
«Mein Schwiegervater hat schon einen Käufer gefunden und ist offensichtlich handelseinig mit ihm. Der neue Besitzer würde vermutlich lieber einen Schwarm Wespen beherbergen als mich. Seit Seine Gnaden und die Spanier unser Haus mit ihrer Aufmerksamkeit beehren, ist unser Ansehen in der Stadt erheblich gesunken.»
Farnese lachte auf. «Euch Flamen kann man es aber auch nicht recht machen. Ist man streng mit euch, erhebt ihr ein großes Geschrei, kommt man euch entgegen, so seid ihr erst recht beleidigt. Also gut, meine Liebe, Ihr sollt Euer Quartier bekommen. Don Luis, Ihr habt mir doch von einem Gut berichtet, das seit einiger Zeit leer steht. Es soll einmal von Nonnen bewohnt gewesen sein.»
Don Luis nickte, machte aber ein skeptisches Gesicht. «Ihr meint das Haus der schwarzen Schwestern. Ein Nonnenorden, der sich hier in Oudenaarde der Pflege Pestkranker widmete. Ich weiß nicht, ob eine junge Witwe mit ihrem Kind …»
«Was Ihr dazu zu sagen habt, interessiert mich nicht», fiel Farnese ihm ins Wort. Er wurde ungeduldig, war erpicht darauf, endlich den Handel abzuschließen. Griet entging das nicht. Wenn sie ehrlich war, hätte sie eine andere Unterkunft vorgezogen, denn die Nonnen, die vom Volk schwarze Schwestern genannt wurden, waren ihr immer etwas merkwürdig vorgekommen. Es verband sie nicht viel mit anderen Orden, die Frauen bleiben lieber für sich und standen in dem Ruf, in ihrem Haus Geheimnisse zu hüten, über die man sich besser nicht den Kopf zerbrach. Bevor der Statthalter es sich noch einmal anders überlegen konnte, beeilte sie sich, ihm ihre letzte Forderung zu unterbreiten.
«Ich habe nichts gegen das Haus der schwarzen Schwestern einzuwenden», sagte sie. «Um in der Stadt zu überleben, werde ich allerdings einen kleinen Handel eröffnen müssen. Dafür brauche ich ein königliches Privileg, das nur Ihr mir ausstellen könnt.»
«Einen Handel?» Alessandro Farnese hob die Augenbrauen. «Warum nicht? Offensichtlich entspricht das Handeln und Feilschen genau Euren Fähigkeiten. Obwohl ich nie zuvor eine Krämerin traf, die für ihre Waren so ungewöhnliche Dinge verlangte wie Ihr. Was wollt Ihr denn verkaufen, wenn ich fragen darf? Spitze oder Knöpfe?»
Griet holte tief Luft, dann lächelte sie sanft. «Was die Menschen in einer von Krieg und Aufstand bedrohten Provinz
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