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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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die Stirn. «Aber wundert dich das? Sie verstehen unsereins nicht. Es sind biedere Handwerksleute, auch wenn sie sich für begnadete Künstler halten. Mir kann der alte Marx nichts vormachen. Was dich betrifft, so muss ich ihm jedoch leider zustimmen. Für eine Witwe ist es in diesen schweren Zeiten unmöglich, schutzlos in einer fremden Stadt zurückzubleiben, die noch dazu von spanischen Truppen besetzt ist. Was hast du dir nur dabei gedacht?»
    Griet setzte sich an den kleinen Tisch, auf dem sich die Borten, Garne und Stoffe aus ihrer Aussteuertruhe türmten, und verfolgte reichlich ernüchtert, wie ihr Vater sich seiner Stiefel entledigte. Da seine Freude über ihr Wiedersehen sich in Grenzen zu halten schien, half sie ihm nicht, sondern erklärte in deutlich kühlerem Ton, dass Oudenaarde für sie keine fremde Stadt war, sondern der Ort, an dem sie geheiratet und ein Kind zur Welt gebracht hatte.
    «Darf ich fragen, wie es kommt, dass du ausgerechnet jetzt, mitten im Krieg, die Ardennen durchquerst, um mich zu besuchen? Wie ist es dir nur gelungen, die spanischen Stellungen zu umgehen, ohne gefangen genommen zu werden?»
    Sinter lachte amüsiert auf, als hielte er derartige Gefahren für völlig abwegig. Er war ein breitschultriger Mann mit dunklen Augen, der trotz seiner Vorliebe für üppige Mahlzeiten, Bier und Wein noch immer in der Lage war, sein Gewicht zu halten. Haar und Bart mochten ergraut sein, doch das machte aus ihm keinen alten Mann. Sinter hielt sich betont aufrecht, eine Angewohnheit, die er sich bei den Edelleuten am Hof des Kaisers abgeschaut hatte. Sein Auftreten erinnerte daran, dass er in jungen Jahren ein aufgeweckter Bursche gewesen war, der mit seinem Lächeln zahlreiche Herzen gebrochen hatte. Noch immer war er bemüht, eine Aura des Geheimnisvollen zu verbreiten, doch sein Charme wirkte auf Griet zerschlissen wie sein Wams und der staubige Reiseumhang aus grober Wolle. Er schien nicht geritten zu sein, denn seine Stiefel waren schlammverkrustet. Außerdem trug er einen Stab bei sich, wie ihn sonst nur Pilger auf ihrem Weg ins spanische Santiago verwendeten.
    «Als ich vom Tod deines Mannes und vom Fall Oudenaardes erfuhr, habe ich nicht lange gezögert», erklärte Sinter. «Ich habe mich ohne Umschweife auf den Weg gemacht, um nach dir zu sehen. Schließlich bist du meine Tochter.» Er schüttelte den Kopf. «Natürlich habe ich dich im Haus der Teppichwirker vermutet, nicht in einem aufgegebenen Kloster. Aber dort behauptete so ein aufgeblasener Gockel, er sei von nun an der Eigentümer des ganzen Anwesens, und die Familie wäre aus der Stadt geflohen. Als dein Name fiel, sprang er mich beinahe an wie ein wilder Stier. Ich muss schon sagen, eine fürchterliche Nachbarschaft hast du! Alles andere hätte ich mir für meine Tochter gewünscht, nur das nicht. Und was die spanischen Soldaten betrifft, so konnte ich mich am Stadttor mühelos legitimieren. Ich hatte gültige Papiere. Wie du weißt, bin ich ein rechtschaffener Diener des Königs.»
    «Wie ich weiß, dienst du jedem, der zufällig gerade im Palast des Statthalters sitzt», platzte es aus Griet heraus. Sie war wütend, denn die alte Leier, auf der ihr Vater spielte, kannte sie nur zu gut. Wie oft hatte er sich in seinen Briefen über Willem lustig gemacht und Griet als Närrin beschimpft, weil sie ihm in die flämischen Ardennen gefolgt war, anstatt in Brüssel zu bleiben und sich standesgemäß von Edelleuten umwerben zu lassen. Starrsinnig war er nicht nur ihrer Hochzeit ferngeblieben, sondern auch Basses Taufe, obwohl sie nach dem Ritus der Kirche Roms vollzogen worden war. Was also erwartete er nun von ihr?
    Sie erhob sich, weil sie Beelken mit Basse an der Tür stehen sah, die neugierig hereinspähte. «Frans und Hanna haben eingesehen, dass ich bleiben will, anstatt ihnen nach Antwerpen zu folgen. Der Statthalter billigt meine Entscheidung. Kannst du es ihm nicht gleichtun?»
    «Oh, ich bin froh, dass du nicht mit den anderen nach Antwerpen gegangen bist», gab Sinter zu, ohne auf Griets Vorwurf einzugehen. «Trotz des Widerstands der Rebellen im Norden gewinnen die Habsburger an Boden, lange wird sich auch Antwerpen nicht mehr behaupten können. Farnese hat nach dem Tod Don Juans von Austria geschworen, seine Truppen nicht eher aus den Niederlanden abzuziehen, bis alle südlichen Provinzen, die sich der Utrechter Union angeschlossen haben, wieder unter der Herrschaft der Krone stehen. Für die Leute von Flandern wäre es

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