Die Stadt der schwarzen Schwestern
dort draußen, der kleinste Schritt konnte einem zum Verhängnis werden. Abgesehen von seiner schäbigen Kleidung machte Sinter auf sie aber keinen abgekämpften Eindruck. Auffällig war nur, dass er kaum Gepäck bei sich hatte.
«Beunruhigt Euch etwas, Herrin?», wollte Beelken wissen. Das Mädchen hatte sich einen von Basses kleinen Kitteln vorgenommen und flickte mit geschickten Handgriffen einen Riss. «Wir können doch froh sein, dass nun ein Mann im Haus ist, nicht wahr?»
Ich hoffe es, dachte Griet. Sie klopfte den Umhang aus und legte ihn auf ihre Kleidertruhe.
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Kapitel 10
Am nächsten Morgen machte sich Griet auf den Weg zu Pieter Rink, dessen Druckerei sich in einem windschiefen Fachwerkhaus am Grote Markt befand. Ein wenig unbehaglich war ihr zumute, als sie den Platz überquerte. Seit dem Tag des Strafgerichts hatte sie es vermieden, hierherzukommen. Heute aber war Markttag, und einige Bauern aus den umliegenden Dörfern, die froh waren, dass die Spanier ihnen die Tore geöffnet hatten, boten Mohrrüben, Weißkohl und Eier an. Ihre Karren gruppierten sich wie eine Wagenburg um den Brunnen, dem Rathausplatz wollte keiner der Händler zu nahe kommen. Noch immer kennzeichneten dunkle Sandhaufen auf den Pflastersteinen den Ort, an dem die Ratsherren getötet worden waren.
Griet drängte sich durch das Gewühl der Menschen, die zusammenstanden, feilschten und Neuigkeiten austauschten. Hühner und Gänse gackerten und schnatterten in ihren Käfigen; auf einer Kiste hockte ein Flötenspieler, auf dessen Schultern ein kleiner Affe herumturnte. Das Tier war wie sein Herr gekleidet: rote Kniehosen und ein zerlumpter Leinenkittel, auf dem Kopf saß eine Lederkappe, die die Ohren bedeckte. Als Griet an dem Musikanten vorbeiging, zog der Affe sein Käppchen vor ihr und blickte sie so mitleiderregend an, dass sie nicht anders konnte, als eine Münze hineinzulegen. Zum Dank drehte das Tier ihr eine Nase und kreischte sie an.
Vor dem Tisch eines Blechschlägers, der Gürtelschnallen anbot, blieb sie stehen. Vielleicht sollte sie ihrem Vater als Zeichen, dass sie ihm nichts nachtrug, etwas mitbringen? Viel Geld hatte sie nicht übrig, doch der Blechschläger hatte ihr bei früheren Marktbesuchen häufig Komplimente gemacht, vielleicht ließ er mit sich reden? Der Mann war heute allerdings nicht zu sehen, er hatte seine Frau auf den Markt geschickt. Als Griet die Hand nach einer Schnalle ausstreckte, fuhr das Weib sie an: «Ihr bekommt hier nichts, macht, dass Ihr weiterkommt!»
Griet zuckte zusammen. Ihre Finger schlossen sich fester um das Band ihres Lederbeutels, den sie sich über die Schulter gehängt hatte. Als sie das rote Gesicht des Weibs ansah, erinnerte sie sich, dass die Frau sie schon einmal angekeift hatte. Das war ebenfalls hier gewesen, am Abend des Strafgerichts. Die Frau hatte Griet und Frans Marx beschimpft, weil sie sie und den Rat für das harte Vorgehen der Spanier verantwortlich gemacht hatte. Vermutlich würde sie ihre Ware eher in die Schelde werfen, als ihr auch nur ein Stück davon zu verkaufen. Griet spürte, wie die Marktkrämerinnen sie anstarrten. Sogar der Flötenspieler mit dem Affen unterbrach sein Spiel und warf ihr einen neugierigen Blick zu. Griet floh von dem Stand.
«Eure Spanier sind dort drüben», rief ihr die Blechschlägerfrau hinterher und zeigte auf die Lakenhalle, die gleich hinter dem Rathaus lag. In den Räumen des unteren Geschosses hatte das einfache Fußvolk Quartier genommen, darüber die Musketiere. «Sie warten sehnsüchtig auf Huren wie Euch.» Einige Männer und Frauen lachten, andere flüsterten miteinander.
Griet eilte auf die Druckerei zu. Als sie deren Tür hinter sich ins Schloss geworfen hatte, war sie den Tränen nahe, fühlte sich endlich aber auch sicher. Der Druckermeister stand mit schwarzen Händen vor einem Tisch und reinigte Punzen. Über seinem kahlen Schädel hingen Dutzende von Pamphleten und Buchseiten zum Trocknen, ordentlich an langen, quer durch die Werkstatt gespannten Schnüren befestigt. An einem Stützpfeiler erinnerte der Index , die mit einem Dolch ans Holz geheftete Liste verbotener Bücher und Druckschriften, jeden Besucher daran, dass Kirche und Obrigkeit stets wachsam waren.
Als der Drucker Griet erkannte, hellte sich seine Miene auf. Er nahm ein Tuch und reinigte seine Hände, bevor er sie mit einem breiten Lächeln begrüßte. «Ich freue mich, Euch wiederzusehen, meine Liebe», sagte er, ohne sich an
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