Die Stadt der schwarzen Schwestern
besser, sich gleich daran zu gewöhnen. Nur so können sie es verhindern, dass Amsterdam und die übrigen Städte der nördlichen Provinzen ihnen den Rang ablaufen.» Er stieß scharf die Luft aus. «Überleg doch mal: Wem nutzen flämisches Tuch, Wandbehänge aus Brokat, Spitzen und Kunstwerke, wenn es keine Handelshäfen mehr gibt, die sie in die Welt hinausbringen?»
Griet staunte. Überlegungen dieser Art hatte sie von ihrem als oberflächlich bekannten Vater nicht erwartet. Noch überraschter war sie, als Sinter ihr eröffnete, dass er mit dem Gedanken spiele, selbst eine Weile in Oudenaarde zu bleiben.
«Nur so lange, bis sich die Lage wieder etwas entspannt hat und ich mich davon überzeugt habe, dass du allein zurechtkommst», sagte er freundlich. «Und da ich nun mal dein Vater bin, sehe ich es als meine Pflicht vor dem Herrn an, mich um meine verwitwete Tochter und meinen Enkelsohn zu kümmern. Das habe ich bedauerlicherweise zu lange dem Hause Marx überlassen. Nun kennt mich der arme kleine Junge nicht einmal richtig. Aber das werden wir schnell ändern, nicht wahr?»
Sinter winkte Basse zu, der sich schüchtern an Beelkens Rock klammerte. Für den Jungen war er ein Fremder, doch Basses Scheu verwandelte sich bald in Vergnügen, als Sinter ihn mit beiden Armen in die Luft warf und dann auf seine breiten Schultern gleiten ließ. Fröhlich trällernd zog er mit ihm um den Tisch. Der kleine Junge quietschte vor Vergnügen.
«Du willst nicht wieder nach Brüssel zurück?» Griet brummte der Kopf von dem Getöse, das ihr Vater und Basse veranstalteten, aber es freute sie, dass die beiden sich auf Anhieb verstanden. Wehmütig erinnerte sie sich an ihre Jugend in Brüssel. Damals hatte Sinter nur wenig Interesse an ihr gezeigt, seine Hingabe hatte allein Isabelle gegolten, seiner Frau und Griets Mutter. Sie hatte er auf Händen getragen.
Nach einer Weile ging Sinter erschöpft in die Knie, setzte Basse ab und streckte seine Hand nach Beelken aus, die ihm wieder auf die Beine half. «Danke, mein schönes Kind», murmelte er, während seine Blicke ungeniert über Beelkens wohlgeformten Körper wanderten.
«Ich hatte dich nach deinen Plänen gefragt», erinnerte ihn Griet.
Sinter warf ihr einen nachdenklichen Blick zu. «Meine Aufgaben als Mitglied der Brabanter Rechnungskammer erlauben mir natürlich keine lange Abwesenheit. Du kennst das ja, die Schreiber und kleinen Advokaten lassen alles schleifen, wenn ihr Herr nicht zugegen ist.»
Griet hatte keine Ahnung von den Belangen der königlichen Rechnungskammer und fragte sich, warum ausgerechnet ihr Vater sich dort besonderer Achtung erfreuen sollte. Aber sie beschloss, ihm nicht schon wieder zu widersprechen, und nickte höflich.
«Aber für mein Stadthaus in Brüssel und für die beiden Erbgüter bei Leuven, die deine Mutter mit in die Ehe gebracht hat, ist gesorgt. Um sie muss ich mir keine Gedanken machen, meine Verwalter sind fähige Männer.»
Griet wählte einige Leintücher aus, die sie eigentlich hatte verkaufen wollen, und drückte sie Beelken in die Hand, damit sie für ihren Vater das Bett in einer der Kammern herrichten konnte. Sinters plötzlich erwachter Familiensinn kam ihr merkwürdig vor. Dennoch wollte sie sich versöhnlich zeigen und ihrem Vater die Hand reichen. Nachdem er es sich in der Kammer bequem gemacht hatte, bot sie an, sein Pferd in den Stall zu führen. Sinter berichtete, dass sein Pferd während eines schrecklichen Unwetters vor dem Dörfchen Nukerke so erschrocken sei, dass es ihn abgeworfen und das Weite gesucht habe.
«Ich werde alt», erklärte er mit einem verlegenen Lächeln. «Früher hätte ich meinen Gaul durch jedes Gewitter geführt. Nun werde ich mich nach einem neuen umschauen müssen, sofern die Spanier den Pferdehandel wieder zulassen. Während eines Feldzugs wird oft jedes Ross beschlagnahmt.»
Griet wünschte ihrem Vater eine gute Nacht und kehrte in die Pförtnerinnenstube zurück. Gedankenversunken hob sie den Reiseumhang auf, den Sinter während seines Gerangels mit Basse zu Boden geworfen hatte, und fuhr mit ihren Fingern über das fadenscheinige Tuch. Es war staubig, aber weder nass noch feucht. Es roch auch nicht muffig. Keinesfalls hatte sich Sinter mit diesem Umhang durch ein Unwetter gekämpft, jedenfalls nicht bei dem Dörfchen Nukerke, das nur wenige Meilen von Oudenaarde entfernt lag. Stürmte es in den Ardennen, so verloren Reisende oft mehr als nur ihre Pferde oder Esel. Es war gefährlich
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