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Die Stadt der schwarzen Schwestern

Die Stadt der schwarzen Schwestern

Titel: Die Stadt der schwarzen Schwestern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Guido Dieckmann
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Leben in Gefahr brachten. Sollte Bernhilds Ketzerei entdeckt werden, würde man auch Cäcilia bestrafen. Niemand würde ihr glauben, dass sie als Außenseiterin ahnungslos war. Sie wusste nicht, auf welche Weise die Frauen an dieses Buch gekommen waren und warum sie glaubten, es besäße Macht. Aber Cäcilia hatte in ihrem Leben genug erlebt, um zu wissen, dass es den Männern der Inquisition auf solche Feinheiten nicht ankam. Vielleicht war man schon auf Bernhild aufmerksam geworden? Weigerte sie sich deshalb, nach Oudenaarde zurückzukehren? Gab es dort Menschen, die sie ans Messer liefern konnten? Cäcilia atmete tief ein. Ja, das klang plausibel. Aber wie konnte sie diesem Schicksal entgehen?
    Sie zog sich am Mauerwerk hoch, kam aber so ungeschickt auf die Füße, dass sie einen der Töpfe umstieß. Ein leises Klirren ließ sie zusammenzucken. Schon im nächsten Moment erlosch hinter dem Fenster das Licht der Kerze. Ein Schatten tauchte auf, aus dem sich ein bleiches Gesicht löste. Unter dem schwarzen Schleier sah es aus, als schwebe es in der Luft.
    Cäcilia drehte sich rasch um und duckte sich. Dann schlug sie mit klopfendem Herzen den Weg zurück zum Haus ein. Sie verwünschte ihre Unvorsichtigkeit. Man hatte sie entdeckt, daran gab es keinen Zweifel. Voller Angst erwartete Cäcilia den kommenden Morgen.

    Der nächste Tag verging zu Cäcilias Verwunderung, ohne dass eine der Schwestern sie auch nur merkwürdig anschaute. Hilfsbereit gingen die Frauen ihr zur Hand, um die Heilkräuter, die sie nach Oudenaarde mitnehmen wollte, zu bündeln und verschiedene Pflanzensamen in eigens dafür vorgesehene Spanschachteln zu füllen. Die Frauen schienen wie ausgewechselt. Eifrig schmiedeten die sechs Pläne, wobei sie sogar Cäcilia mit einbezogen, und selbst diejenigen, die am Vortag von der Nachricht der baldigen Rückkehr schockiert gewesen waren, schienen voller Vorfreude. Sie beglückwünschten Cäcilia zu dem neuen Garten, den sie im nächsten Frühjahr auf Geheiß der Vorsteherin anlegen sollte, und schwärmten von den prächtigen Häusern der Kaufleute am Markt, den herrlichen Kirchen und der frischen Luft der Ardennen, die das Leben in der kleinen Stadt an der Schelde angenehm machte.
    Cäcilia hörte ihnen mit offenem Mund zu; hin und wieder warf sie etwas ein oder stellte eine Frage, die auch prompt beantwortet wurde, als wäre sie immer ein fester Teil der Gemeinschaft gewesen. Nichts verband die freundlichen Klosterfrauen mit den lichtscheuen Gestalten, die sich in der Nacht zuvor um den Tisch in der Arzneistube versammelt hatten.
    Als es dunkelte, waren die Reisevorbereitungen nahezu abgeschlossen. Cäcilia wurde unruhig. Hatte sie mit dem Gedanken gespielt, das Kloster eilig zu verlassen, um sich nicht den Schwestern anschließen zu müssen, kam ihr dieser Gedanke nun reichlich kindisch vor. Vermutlich war sie einfach übermüdet gewesen, hatte irgendetwas falsch verstanden. Gewiss lag kein Grund vor, ihren Mitschwestern zu misstrauen. Und wohin hätte sie auch gehen sollen als entlaufene Nonne?
    So stand sie inmitten ihrer Schwestern, als kurz vor der Vesper drei Männer auf den Hof der Abtei geritten kamen. Sie sahen aus wie Kriegsknechte, wiesen sich aber als Abgesandte der Fürstin Margarethe aus und wurden sogleich zu Bernhild geführt. Dort blieben sie eine ganze Weile. Cäcilia hätte gerne gewusst, was die Fremden so lange mit der Vorsteherin zu besprechen hatten, doch die Frauen zuckten nur die Schultern und vermuteten, dass die Waffenknechte den Begleitschutz bildeten. Der Weg durch die Ardennen war zwar nicht weit, aber im Winter durchaus mit Gefahren verbunden. Fürstin Margarethe hatte offenbar Vorkehrungen getroffen, um die Wagen der schwarzen Schwestern bis zur Schelde zu sichern.
    Im Morgengrauen bestiegen sieben Frauen zwei am Tor wartende Reisewagen, die sich in Bewegung setzten, sobald der sechste Schlag der Turmuhr verklungen war. Es regnete in Strömen. Von den Leuten aus Hertoginnedal war nur die Äbtissin gekommen, um sich zu verabschieden.
    Cäcilia schlug fröstelnd die Plane zurück und warf dem Kloster und ihrem Garten einen letzten Blick zu. Sie hatte sich hier wohlgefühlt, aber entschieden, bei den Nonnen zu bleiben.
    Nun gab es kein Zurück mehr.

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    Kapitel 15
    «Ich verstehe nicht, wo sie bleiben. Sie hätten längst hier sein müssen!»
    Aufgeregt hob Griet ihren Rocksaum und eilte über die Brücke, die bei jedem ihrer Schritte knarrte. Unter ihren

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