Die Stadt der schwarzen Schwestern
einem Zug. Remeus machte ein langes Gesicht, murmelte etwas, das sich wie ein Fluch anhörte, und machte sich mit trockener Kehle aus dem Staub. Niemand hielt ihn auf.
«Du musst zu ihm gehen», sagte Sinter, nachdem die Tür ins Schloss gefallen war. «Dein Mitgefühl ausdrücken. Der Weinhändler hat mehr für dich getan als jeder andere in dieser Stadt.»
Griet ließ sich auf einen Schemel sinken. Ihr blieb nichts anderes übrig, als schweigend zu nicken. Aber es graute ihr davor, de Lijs zu begegnen.
Zu ihrer Erleichterung ließ sich ihr Vater dazu bewegen, Griet am Abend zum Haus des Weinhändlers zu begleiten. Sinter sprach unterwegs unablässig von Isabelle, und Griet dachte darüber nach, dass der letzte Beileidsbesuch, den sie mit ihrer Schwiegermutter am Tag nach dem Strafgericht unternommen hatte, in eine Katastrophe gemündet war. Die Eingangstür zum Kontor war mit schwarzem Samt verhängt worden. Kein Laut war im Haus zu hören, nur einige dünne Kerzen wiesen flackernd den Weg die Stiege hinauf. Griet und Sinter fanden de Lijs an seinem Stehpult schreibend vor. Er sah nicht mehr so verwahrlost aus wie bei ihrer letzten Begegnung. Er trug ein sauberes blaues Wams, das von einem breiten Gürtel gehalten wurde. An einem Kettchen um seinen Hals hing ein silbernes Medaillon, es zeigte die Jungfrau Maria. Seine Wangen waren leicht gerötet. Als er Griet und ihren Vater sah, hob er den Kopf und begrüßte sie liebenswürdig, aber förmlich. Griets Blick wanderte zu dem Tisch, auf dem sie sich noch vor kurzer Zeit seiner Zudringlichkeit hatte erwehren müssen. Er hatte sie geküsst und geschlagen, aber er war auch betrunken gewesen. Nun war er nüchtern. Und ihr Vater stand neben ihr.
«Ich habe sogleich den Arzt aus Pamele geholt», hörte sie de Lijs sagen. «Ein fähiger Mann. Aber nicht einmal er konnte feststellen, was der Ärmsten fehlte. Vermutlich war es das Herz, das nicht mehr wollte.» Er bekreuzigte sich; seine Lippen berührten das Marienbildnis an seiner Kette. «Dem heiligen Sixtus sei Dank, dass sie nicht lange leiden musste. Ich habe vor, der Abtei von Maagdendale eine großzügige Spende zukommen zu lassen. Vielleicht darf meine Frau dann auf dem Klosterfriedhof ruhen.»
Sinter hielt dies für eine gute Idee. «Wisst Ihr, meine Isabelle …»
«Es war sehr freundlich von Euch, mich gleich zu besuchen», unterbrach ihn de Lijs, bevor er richtig ausholen konnte. «Und haltet mich nicht für kaltherzig, weil Ihr mich hier im Kontor antrefft anstatt am Sarg der armen Verstorbenen. Aber es gibt nun einmal Dinge, die keinen Aufschub dulden.»
Griet räusperte sich. «Wenn Ihr irgendetwas braucht, lasst es mich bitte wissen, de Lijs.»
Er sah sie an; einen Augenblick zu lange, wie Griet fand. Dann ergriff er ihre Hand und drückte sie fest. Da war er wieder, dieser Ausdruck maßlosen Verlangens. Als sich seine Mundwinkel hoben, erkannte sie, dass seine Trauer nur gespielt war. Er hatte sie zu sich gelockt, und sie war gekommen.
«Nun teilen wir ein gemeinsames Schicksal, Griet», flüsterte er. «Wir sind beide verwitwet. Beide sind wir in unseren Geschäften erfolgreich, aber das schafft keine Befriedigung, wenn wir nachts allein in unseren Betten liegen, nicht wahr?»
Er ließ ihre Hand los. «Ich hörte, die schwarzen Schwestern sind nicht wie erwartet nach Oudenaarde zurückgekehrt. Das ist schlimm für Euch. Habt Ihr genügend Rücklagen in Eurem Kontor, um einen möglichen Verlust auszugleichen?»
«Selbstverständlich», log Griet. Sie fragte sich, wie de Lijs so rasch Wind davon bekommen hatte. Vielleicht spionierte Remeus sie aus und erstattete seinem Herrn regelmäßig Bericht. Zuzutrauen war es ihm. «Macht Euch um mich keine Sorgen.»
«Es ist doch eigenartig, dass diese Klosterschwestern den Weg nach Hause nicht finden. Bernhild, ihre Vorsteherin, ist eine entfernte Verwandte von mir. Sie kommt aus Elsegem, einem Dörfchen ganz in der Nähe. Dort verfügt ihre Familie über Grundbesitz. Sie kennt die Ardennen besser als ein Jagdhund und würde sich niemals verirren.»
«Vielleicht wurden sie von Wölfen oder anderen wilden Tieren getötet», meinte Sinter.
«Danke, Vater, das baut mich auf!»
De Lijs kratzte sich nachdenklich am Kopf. «Ganz so abwegig ist der Gedanke nicht, Griet. Ihr solltet anfangen, Euch gegen unangenehme Nachrichten zu wappnen. Ich würde Euch gern dabei helfen, wenn Ihr mich lasst. Ein paar meiner Knechte könnten sich sofort auf den Weg machen, um
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